Urfaust_3Urfaust sind schon ein merkwürdiger und vielgesichtiger Parasit in der Metal-Szene. Was 2003 als Dark Ambient-Projekt begann, avancierte irgendwann zu einem gediegenen, avantgardistischen Gewand einer Neofolk-Ästhetik, in den punktuierten Extrema der Musik gar mit Black Metal- und Doom Metal-Auswüchsen. Wenn man aber einen zusammenkittenden Faktor in der gesamten Diskographie des Duos aus den Niederlanden benennen möchte, so ist es wohl ihr Hang zur Kreation tiefschwarzer, elend-bitterer Trauerlandschaften und drückender Atmosphäre. Das letzte richtige Studioalbum liegt mit „Der freiwillige Bettler“ bereits fünf Jahre zurück, untätig war man aber keineswegs, wenn man an all die VÖs denkt, die es verstreut immer wieder gab: ein Live-Album, Compilations, EPs, Splits mit The Ruins of Beverast und sogar dem abgebrühten King Dude. Anfang März stand die brandneue EP „Apparitions“ der Herren an: und, oh, ich sehe schon die Kerzen in den dunklen Kammern derer brennen, die die Musik Urfausts als satanischen Ritual-OST oder für ihre okkulten Messen nutzen. Denn eine genaue Analyse des vorliegenden Tonträgers zeigt: wenn die beiden Musiker diese EP nicht für diesen Anlass geschmiedet haben, wofür bitte dann? Eine Reise ins Unbewusste. Ein Nachtflug für die Seele.

Das gähnend lange Ambient-Intro „The End Of Genetic Circles“ beginnt diesen Trip mit einem „mind-bending“ Score-Sound, der so auch Kubrick’s 2001-Odyssee im Weltraum oder irgendein SciFi-Strategiespiel untermalen könnte. Dennoch stellt sich nach dem Setting-Aufbau des unheiligen Werkens, das wir hier bezeugen dürfen, im weiteren Hören der „Apparitions“-EP schnell heraus, dass nicht bloß der einleitende 7-Minüter hier eine klaffende und weitschweifig ausgedehnte Hintergrundmusik ohne viel Action bietet. Nein, die gesamte CD ist mit Gebirgen von zähen und schier ewigen Passagen durchzogen, die man kaum „normales“ Musizieren nennen kann. Aber was ist schon normal im Hause der mysteriösen Holländer? Der Titeltrack der EP fährt hingegen tatsächlich mal mit einem eher gemach und zurückhaltend eingesetzten Schlagzeug auf, während Sänger und Gitarrist IX seine opernhaft hohe Stimme zum textlosen „Aaah“ erhebt, das hier fast wie eine weitere Facette wirkt, die sich in die musikalischen Eigenheiten wie ein eigenes Klangwerkzeug einfügt. Immer wieder meint man auch Text darin zu erkennen – aber ob es den tatsächlich gibt, wird wohl auf diesem Planeten niemand erfahren, und das gilt für alle Stücke Urfausts, nicht bloß von diesem Release. Die restlichen Aspekte, die beim Stück „Apparitions“ ineinander greifen, wollen gar nicht so recht geläufig sein und zunächst ebenso wenig zueinander passen: eine Orgelsound-Tristesse (wenn es denn überhaupt eine Orgel ist, so verfremdet klingt der Sound) statt einer Metal-zugehörigen Leadgitarre schafft jedenfalls eine bizarre, bittere und angsteinflößende Grundstimmung, welche irgendwann plötzlich durch eine beinahe folkig gezupfte Laute durchbrochen wird. Was zunächst wie ein willkürlich erscheinendes Zusammenspiel merkwürdiger Komponenten wirkt, ist im Kern ein bedrohlicher Soundtrack, der es schafft mit wie aus der Ferne nahendem, immer präsenter werdendem Sound die Luft zum Atmen abzuschnüren. Aber Black Metal sucht man hier vergebens. Überhaupt tünchen die Urfaustianer aus Asten/Nordbrabant ihren neuesten Output erst auf Track 3 in einen metallenen Lack, denn erst hier, nach einer guten Viertelstunde, tauchen die ersten Gitarrenklänge auf. Monoton, versteht sich. Die Ära der Langsamkeit durchbricht bei „The Healer“ irgendwann ohne Ankündigung ein fieses Growling statt des gewohnten Gesangs, bevor der Song sich wieder dem eintönigen und gleichförmigen Dasein in der Schwebe hingibt. Am Ende der EP steht dann der 22-minütige Koloss „The River“, der durchgängig wie die Background-Musik einer endlosen Horrorfilmszene klingt. Windböen, dumpfer Chorgesang, ein Hauchen, fiese Schreie in der Ferne. Mehr geschieht nicht. Ein heimsuchendes Gespenst von einem „Song“, eine offen gesagt erschreckende und durch Mark und Bein kriechende Offerte, ewig lang, wie in einem schauerlichen „Dungeon“ eines Rollenspiels.

Neben der Tatsache, dass über das Musiker-Duo -bestehend aus zwei Herren mit den Künstlernamen IX und VRDRBR so gut wie nichts bekannt ist, ist auch noch unsicher, in welcher Sprache die Texte überhaupt gehalten sind. Die englische Betitelung der Stücke ist ebenso eine kleine Premiere für die Nietzsche-Fanatiker und Goethe-Liebhaber, führen sie ja sonst immer ihre Stücknamen auf das literarische Werken der zwei Größen aus Deutschland zurück (ob fehlerbehaftet oder wenigstens in einem seltsamen Altdeutsch bleibt hierbei ungeklärt) – so kommt auch ihr Bandname ja nicht von ungefähr.

Urfaust_1Fazit: „Apparitions“ ist -kaum ungleich zu anderen Urfaust-Platten- ein vom Wahnsinn befallenes und schwerfällig fließendes Larghissimo im Sog einer Drone-artigen ‚Klebrigkeit‘, kaum Bewegung, bloß eine Tiefenbohrung im Hirn, ohne Pause. Warum die Scheibe trotz der Dreiviertelstunde Laufzeit noch als EP durchgeht, liegt wohl einzig und allein an der Tatsache, dass es sich hier nur um vier Stücke handelt, welche aber alle einen gewaltigen Platz einnehmen. Die neue EP unterstreicht noch einmal fett die makabre Groteske der Band, mit der sie sich seit Jahren ihre Pfade bahnen, und dieses Wort als Bezeichnung des Musikerkonglomerats muss man ja fast schon in Anführungsstriche setzen. Wir befinden uns hier jedenfalls in aller Deutlichkeit gesprochen weit hinter den Schären und wüsten Landstrichen der Metal-Musik, ganz gleich welcher Schublade. Weit weniger Bombast und mehr Minimalismus als auf früheren Werken. Es ist ebenso sehr schwierig, die EP aufgrund der starken Divergenz der Einzelstücke als Einheit zu bewerten. Außerdem fühlt man sich mit einer Urfaust-Record mehr so, als befände man sich in einem Orchestersaal und befasste sich mit einer Filmhintergrundmusik oder einem Game-Score. Eine einzigartige Klangerfahrung ist mit „Apparitions“ garantiert und im Gesamtkontext dieser schwierigen und anspruchsvollen Musik sicherlich eine Sternstunde. Jemand, der mit Urfaust jedoch nicht vertraut ist, wird der Sound dieser EP maßlos gegen den Strich gehen und er wird das Werk verteufeln ob der Tatsache, dass man als Black Metal-Abenteurer mit dieser Expedition übers Ohr gehauen wurde. Ein so krasser Wechsel von Metal-hafter Musik zu etwas ganz anderem Ungreifbaren ist mir nämlich noch nicht untergekommen. Black Metal ist ein Genre, bei dem das bei seinen Wurzeln Bleiben“ gut und gerne mit Beifall quittiert wird. Urfaust aber schaffen es, auf jedem ihrer Tonträger etwas Neues zu kreieren und ihre Musik an neue Plätze und Ufer zu treiben, ohne dabei die Message“ ihres Stils zu verlieren. Schwer verdaulich, benebelnd und beklemmend ist die Musik der beiden eigenartigen Geheimniskrämer. Ihre okkult-liturgischen Live-Auftritte sind getragen von einer tiefreichenden Mystik und Verschleierung und besondere Erfahrungen – das wissen die Fans. Nicht umsonst heißt ihr Stil auch „Ritual Black Metal“ – mit einem angsteinflößenden Ambient-Stil in dieser extremen Musikrichtung. Gewiss keine leichte Kost! Womöglich greifen wir alle besser zu einfacher gestrickter und weniger „Kunst-sein-wollender“ Musik, denn über das, was die beiden ominösen „dutch people“ hier vom Stapel lassen, kann man sich eigentlich nur wieder und wieder das Hirn zermartern und gewiss dran verzweifeln. “Apparitions“ erschien am 06.03. über das Label Ván Records und ist auf CD und als Vinyl erhältlich.

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