Zwei Jahre ist es her, dass die Unzucht ihr letztes Studio-Album herausgebracht hat. Die Wartezeit wurde für die Fans durch ein grandioses Live-Album gefüllt, doch nach unzähligen Konzerten und dem Konzert-Erlebnis zu Hause dank dem „Widerstand“ fragte sich die wachsende Fangemeinschaft der Gothic-Rock-Band aus Hannover, wann es endlich mal wieder neues Songmaterial gäbe. Nun ist die Wartezeit am kommenden Freitag endlich vorbei! Am 27.07.2018 erscheint der neue Silberling „Akephalos“ via Out of Line und knüpft an die 9-jährige Geschichte der Band an. Pünktlich zum Amphi Festival 2018 erscheint die CD und es ist wohl sehr wahrscheinlich, dass die Truppe um Frontmann Daniel Schulz auch einige neue Songs bei ihrem Auftritt auf dem beliebten Festival in Köln spielen werden. Ob sich das Album lohnt, erfahrt ihr nun vorab hier in unserer CD-Rezension.

Brachial und nachdenklich

Mit rasanten Drums und schmutzigem Gitarrengeschrammel beginnt das Album mit „Projektil“. Ein schnelles und lautes Stück nach guter alter Unzucht-Manier. Klarer und kraftvoller Gesang von Daniel Schulz und das kratzige und verzerrte Gegrowle von Gitarrist Daniel De Clercq harmonieren wie schon in älteren Stücken miteinander. Im Hintergrund treiben Tobys Drums den Song rasch nach vorne und mit einem ruhigen Keyboard-Interludium erhält man eine erste Atempause. Textlich zeigt sich Unzucht erneut tiefgründig, ohne den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren. Ebenso treibend und rockig beginnt „Nela“, das den Fans in Video-Form bereits im vergangenen Monat präsentiert wurde. Jaulende Töne, wie man sie schon von den beiden letzten Alben kannte, begleiten das Intro. Bei der Strophe rückt die Musik begleitend in den Hintergrund. Vom Stil her erinnert der Song stark an „Nur die Ewigkeit“ vom „Rosenkreuzer“ (2013) und behält neben all der Härte im Intro und in den Interludien einen poppigen Unterton. 
„Der Tod in mir“ beginnt sehr ruhig, um sich musikalisch dann aber ganz in Unzucht-Manier zu steigern. Mit eingängigem Beat wird der Gesang unterstützt, der von Tod und der vollen Ausschöpfung des Lebens erzählt. Der Song wirkt dabei wie eine gute Mischung aus rockigen und poppigen Sounds und reiht sich damit in den Genre-Wash-Up der Band bestens ein. Dass sie sich gut von der musikalischen Masse abheben können, beweisen die vier Musiker auch mit „Die verbotene Frucht“. Der Track beginnt mit elektronischen Sounds, die an einen spannenden Film aus den 80er Jahren erinnert. Der Song baut sich nur langsam auf und der Gesang setzt erst spät ein, sodass sich bereits eine düster-melancholische Grundstimmung breitmachen konnte. War der Beginn des Albums noch rasant und wild, bleibt dieses Lied eher bedeckt. Stimmliche Monotonie und langsame Gitarrenriffs vertiefen das Gefühl von Endzeit und Hoffnungslosigkeit. Die 80er Synth-Elemente unterstützen dabei eindrucksvoll den Gesang.

Der kopflose Dämon schlägt zu

Der Titeltrack „Akephalos“ fährt dann mit der vollen Ladung des Unzucht-Rocks auf. Schrammelnde Gitarren, schnelle Beats und rasanter Gesang: Es wirkt gerade so, als befände sich die Band auf der Flucht vor dem kopflosen Dämon. Jedoch kann sich ei uraltes Gottwesen als ein alltäglicher Dämon erweisen, der einen mit dem Ende der Zeit konfrontiert. Erkennt das lyrische Ich nun seine Taten oder kämpft es weiter mit dem Kopf durch die Wand? Im Anschluss kommt es mit „Du fehlst“ zunächst einmal zum Stillstand. Die Ballade wirkt sowohl gesanglich als auch musikalisch furchtbar traurig und es macht sich ein Gefühl von Unerfülltheit breit. Der Song erzählt von Abschied, von Alleingelassenwerden und von Verlust und Vermissen. Die tieftraurige Stimmung wird aufrecht erhalten. Mit elektronischen und mystischen Klängen erwächst mit „Der schmale Grat“ ein neues Level der Melancholie, das im Refrain mit harten Gitarren untermalt wird. Der Song führt aus der Einsamkeit heraus und ermuntert dazu, die Hoffnung nicht aufzugeben und seinen Tanz trotz der Zweifel fortzuführen.
Völlig losgelöst von den negativen Gefühlen der vorigen Songs bricht „Nur die halbe Wahrheit“ wie eine Welle über einem zusammen. Die Sicht auf die Dinge kann sich mit nur einem einzigen Schritt ändern. Diese Botschaft vermittelt der Song durch eine Mischung aus brachialem Metal und poppigem Unterton des Gesangs. Auch De Clercqs verzerrter Gesang ergänzt die Gewalt des Songs zusätzlich, wodurch der Track eine Symbiose aus hart und weich erfährt. Oder wie der Text vermuten lässt: eine Symbiose aus Licht und Dunkelheit. Auch „Nachts im Meer“ beginnt brachial. Harte Gitarrenriffs werden von sanften Synthesizern untermalt und Daniels Gesang wird in der Strophe gedämpft, als befände er sich unter Wasser. Der Refrain lädt nach nur wenigem Hören zum Mitsingen ein, doch vermittelt er erneut eine furchtbar melancholische Stimmung. Musikalisch wird dieses Gefühl nicht transportiert, was den Song um so interessanter macht. Der Song animiert zum tanzen und abrocken, aber textlich auch zum nachdenken.

Hart und rockig geht die Welt zu Grunde

Mit „Fleisch und Ruinen“ geht das Album seinem Ende entgegen und die Welt scheinbar auch. Mit Elektronik und durch den verzerrten Gesang und das Gegrowle von DeClercq sowie den harten und rasanten Gitarrenriffs baut sich eine Endzeitwelt vor dem geistigen Auge auf. Der Refrain erweist sich dann als ruhige Insel in der zerstörten Welt, in der der Mensch in den Ruinen seiner Zeit steht. Der Himmel fällt auf die Erde herab, der Mensch hat vergessen, ein Mensch zu sein und wurde durch Maschinen ersetzt. Das was einem dienen sollte, zerstört nun das Paradies. Das Szenario ist schmutzig und zerrissen und ähnlich erscheint auch die Musik, um das Endzeitgefühl perfekt zu machen.

Unzucht auf dem M’era Luna Festival 2017

Der letzte neue Unzucht-Song beginnt mit sanften Tönen, um dann auszuarten. Die Härte des vorangegangenen Songs wird dabei aber nicht erreicht. „Das sichere Ufer“ schlägt erneut den Haken zu älteren Titeln. Musikalisch kommt einem das Stück arg bekannt vor, ohne genau sagen zu können, warum. Vielleicht sind es die elektronischen Sounds im Hintergrund, die man nun schlichtweg vielleicht als typische Unzucht-Sounds bezeichnen könnte. Der Refrain hingegen lässt einen vergessen und nimmt einen mit. Man ist nicht allein, die Unzucht verspricht, da zu sein und einem die Hand zu reichen. Und dies haben sie mit einigen Songs des Albums durchaus bewiesen. Als letzter Track befindet sich noch eine Neuinterpretation von „Ein Wort fliegt wie ein Stein“ auf dem Silberling. Dieses Mal versuchte sich Saltatio Mortis an einem Cover. Nach dem eher sanften letzten Songs des Albums, erscheint der Song irgendwie deplatziert. Dennoch beweist SaMo, dass sie mit ihrem Mittelalter-Rock auch Unzucht-Songs umsetzen können. Die Dudelsäcke machen sich tatsächlich nicht schlecht in dem Lied, das ansonsten doch eher aggressiv ausgelegt ist.

Fazit

Akephalos“ ist eine brachiale Achterbahn durch die Melancholie. Es gibt Songs zum Träumen und Lieder zum Abrocken. Stilistisch bleibt sich die Unzucht dabei vollkommen treu und bringt dennoch neue Elemente in das Album ein. Hatte man zwischenzeitlich die Befürchtung, die Band könne sich stilistisch festgefahren haben, konnte die Band aus Hannover sowohl mit „Neuntöter“ als auch mit „Akephalos“ beweisen, dass das nicht stimmt. Songs wie „Du fehlst“ wirken zwar wie ein Zusammenbruch, doch erweisen sie sich als Gänsehautmoment und Ruhepol, während darum herum die Welt brachial zu Grunde geht. Sei es der herabfallende Himmel, der Ertrinkende oder der Kämpfende, der dem kopflosen Dämon erliegt: Das Album zeigt einen roten Faden aus einer wohligen Mischung aus Melancholie und Hoffnung. Während es musikalisch häufig wie ‚Hau-Drauf‘-Musik wirkt, zeigt sich der Gesang erneut äußerst durchdacht und tiefgründig. Eine Kombination, die Unzucht perfektioniert. Das Album bietet genau die richtige Prise Tiefgründigkeit und Trauer, ohne dass man sich daran verliert. Geht man ohnehin mit einem melancholischen Gefühl an „Akephalos“ heran, findet man die Sonnenstrahlen und die Hand, an der man sich festhalten kann. Fans der Band sollten keinesfalls zögern, sich das Album anzuhören und auch Menschen, die die Band nicht kennen, sollten einmal reinhören. Jedenfalls dann, wenn man auf durchdachte Texte, Gothicrock, Synth und Metal steht. Die Unzucht kann das alles bieten und das in einer berauschenden Symbiose.