Isländische Bands, die in ihrer Muttersprache musizieren, haben es immer schwer. Die einen Hörer werden niemals imstande sein, ihre Lieder und ihren Bandnamen richtig auszusprechen, die anderen werden ihn wegen dieser merkwürdigen „Restrunen“ im Schriftbild nicht mal lesen können. Eine dieser Truppen mit dem schweren Los, Skálmöld, gesprochen „Skaulmöld“, haben erst kürzlich mit einem noch viel schwieriger in Laute zu fassenden Album ihr drittes Machwerk veröffentlicht. Betitelt „Með vættum“, sprich: Meth, genauso gesprochen wie „Death“, und Vaittum mit „ai“. Entgegen vieler anderer unzählige Methumpen schwingender und Odin statt Jesus-grölender Metal-Bands, die mit Elementen des Asenglaubens und hier und da eingestreuter Folklore samt zugehöriger Instrumente aufwarten, passt der Genre-Titel „Viking Metal“ bei Skálmöld treffender als je zuvor. Echter und ehrlicher als eine heidnisch orientierte Band aus unseren Landen kommen sie daher, authentischer. Oft kommt bei einem dritten Album ja das Vorurteil auf, sein gesamtes Pulver als Band vielleicht schon verschossen zu haben, gerade wenn man auf eine Geschichte von bloß vier Jahren zurückblickt wie bei den Isländern hier – aber schon kurz nach dem Drücken der Play-Taste wird deutlich, dass die Truppe von derlei Bedenken gänzlich unbeeindruckt ist. „Með vættum“ erschien Mitte November – wir hören noch einmal rein, wohin die Kaperfahrt der Wikinger geht, und vor allem, ob sie lohnend ist.
Die Reykjavíker Kombo um Sänger Björgvin Sigurðsson lullt den Hörer gleich in den ersten zwei Stücken, die sehr ausdrucksstark und temporeich daherkommen, in einen wohligen Schnee- und Regensturm. Begleitet wird dieser Bassblizzard von treibenden Chorälen, welche wohl ein Hauptcharakteristikum der Band ausmachen. Das doch im Vergleich mit anderen Liedern des Albums sehr kurze „Að vori“ skandiert von Anfang an, worauf wir uns die nächste knappe Stunde einzulassen haben: ohne Umschweife, Killer-Riffs, gute Kombination aus peitschendem und fiebrigem Marschgesang der kratzbürstigen Stimme des Frontmanns. Besonders bezeichnend ist bei den Gesellen aus Islands Hauptstadt der Einsatz gleich dreier Gitarren – und das merkt man, schon beim monströsen, folgenden „Með fuglum“. Hier mit weit weniger Folk-Einfluss, dafür mit Gewaltattitüde höchster Güteklasse. Wenige ruhige Momente, die immer wieder zum Vorschein kommen wie ein auftauchender Pottwal, kurz zum Luftholen, um dann wieder in die Düsternis abzutauchen. Dazu springt förmlich immer und immer wiederholter, geradezu liturgischer Gesang in den Refrainpassagen, sodass man sich ja fast schon wie an Bord eines Drachenschiffes fühlt, das gerade durch die Wellen jagt. Melodischer Mid-Tempo-Death Metal bestimmt das musikalische Fundament, man fühlt sich oft an die weitaus bekannteren Hünen von Amon Amarth erinnert, als es einem manchmal lieb ist, auch wenn Skálmöld mehr mit mitreißenden Gesänge aufwarten. Prägnant ebenso: viele Rhythmuswechsel, und sehr progressiv kommt da ein „Með jötnum“ daher, allein schon fast von zehn Minuten Länge. Wer sich mit den vergangenen Opera Skálmölds beschäftigt hat, weiß, dass alte Stücke schneller in einer Monotonie versacken konnten, als es bei der neuen Platte der Fall ist. Man musiziert und komponiert fokussierter und vor allem hymnischer. Die Ausfahrt an den Fjorden entlang endet mit dem beinahe psychedelisch-doomigen Sound von „Með griðungum“, ein wenig tempoärmer – aber hier wird nochmal unterstrichen, dass Skálmöld auch anders können.
Wer sich fragt, was dieses ständige „Að“ und „Með“ in den Titeln soll – die „Að“-Songs geben einen Jahreszeiten-Zyklus an, beginnend mit „Að vori“, ‚bis zum Frühling‘ bis „Að vetri, ‚bis zum Winter‘. Die anderen Lieder spielen auf Begegnung mit diversen Tieren und Fabelwesen an, „Með fuglum“, ‚mit Vögeln‘, gefolgt vom „Dreki“, dem Drachen, „Jötunn“, dem Riesen, und „Griðungur“, dem Bullen. Diese vier Tiere finden sich alle auf dem Wappen Islands wieder – womit wir bei patriotischer und heimatliebender Symbolik angekommen wären. Gerne siedeln manche die Band in konservativen Kreisen an, da nun einmal sehr mit diesen Prädikaten gespielt wird und ein Teil der Musiker Befürworter des Sprachpurismus sind, der in der isländischen Sprache vorherrscht. Dieser hat zum Ziel, so gut wie alle Fremd- und Lehnwörter aus dem Isländischen zu bannen und stattdessen durch Wörter der eigenen Sprache zu ersetzen.
Fazit: Skálmöld, zu Deutsch übrigens „Gesetzlosigkeit“, schaffen es, mit ihrem neuem Album nach dem ohnehin bereits gefeierten „Börn Loka“ von 2012 noch einen draufzusetzen. Was wir hier hören ist in den Augen der Musiker kulturelles Erbe, für uns ein Hochgenuss in einer Sprache, die wohl vielen verborgen bleibt. Man kann nicht leugnen, Lust zu bekommen, sogleich ein Isländisch für Anfänger-Buch zu erstehen, wenn man der eigenwilligen Aussprache und den Chören lauscht, die das Herz eines jeden Wikinger-Fans höher schlagen lassen. Wer weniger auf Gewummse, sondern noch mehr auf die melodischen, nordischen Gesänge abfährt, der wird womöglich mit den Färöern Týr noch glücklicher als mit den Skandinavierstreitern aus Island, da doch eine Menge schwarzmetallene Elemente und Growling aufkreuzen. Hin und wieder wird eben ein Ausflug in härtere und extremere Gefilde gewagt, was den Tonus der Lieder durchbrechen oder veredeln kann, je nach Standpunkt. Dennoch – traditioneller, altisländischer Hofton, eine unweigerlich vorhandene Tiefe und die Idee, die Nordmannzeit zu ehren. All das zeichnet „Með vættum“ aus, 50 Minuten epochaler Kracher, welche obendrein noch eine einzige Geschichte erzählen, weswegen sich auch Liedtitel und Albumtitel alle so ähneln und einzelne Kapitel einer Reise darstellen. Die lohnt sich ungemein, wenn man ohnehin nordisch-affin durchs Leben geht. „Með vættum“ gibt es seit dem 14.11. bei Napalm Records und erschien als limitierte wie als reguläre CD.