Das Label Prophecy Productions löste eine Welle der Begeisterung aus, als man ankündigte, dass es zu Ehren des 20-jährigen Bestehens ein Jubiläumsfestival mit Hochkarätern aus eigenem Kader veranstalten würde – schließlich ist das in Zeitlingen-Rachtich an der Mosel ansässige Unternehmen ein einzigartiger Tummelplatz für atmosphärische Musik. Bands im Aufgebot sind mal eher vom düsterem, überwiegend akustischem Folk Rock geprägt (u.a. Empyrium, Dornenreich), mal spirituell und postmodern-metallastig mit Bands wie Alcest, Arcturus oder The Vision Bleak, und mal schlägt man in den Tochterlabels Lupus Lounge (u.a. Eïs, Helrunar, Negură Bunget) und Cold Dimensions (Fäulnis) härtere Black Metal-Töne an. Mit Auerbach Tonträger (u.a. Camerata Mediolanense, Fräkmündt, Wöljager) gibt es sogar einen Hort für zeitgenössische Folk-Musik, welche nun gar nichts mehr mit Rock- und Metal-Auswüchsen am Hut hat. Die Geschäftsphilosophie liegt in der Vermarktung „einzigartiger Musik, die die Genregrenzen überschreitet und aus dem Rahmen fällt“. Die hochwertige Detailarbeit und Stilistik, welche hier vermarktet wird, wurde am 19.09.2015 beim eigenen Prophecy Fest an außergewöhnlicher Location zelebriert: die Balver Höhle im Sauerland. Für kulturelle Veranstaltungen, sowie Musik- und Theater-Events wird die kulturträchtige Location bereits seit 1922 genutzt und ist schon seit jeher ein Magnet für Historiker und Archäologen. Hier erfahrt ihr, wie das Mekka für Label-Anhänger gewesen ist.
Früh am Tag versammelte sich die Besucherschaft am asphaltierten Straßenaufgang zum Vorhof-Gelände der Höhle, welche mit großen Planen verhangen war, aber schon von weitem mit Prophecy-Logo-Flaggen als „eingenommen“ erkennbar war. Familiär war es schon um kurz vor 12 Uhr: nur etwas über 1200 Besucher waren am Tag zugegen, viel mehr hätte die Lokalität auch sicher nicht zugelassen. Bei der Geländebegehung muss man zunächst betonen, wie ungewöhnlich und beeindruckend das Event schon hier anmutete: die kalte, aber erhabene Optik beim ersten Betreten des Höhleninneren, die hübsche Ausleuchtung, das ungemein schön gestaltete Programm-Buch, welches für jeden Besucher designt wurde – nicht etwa als Flyer oder Heftchen, sondern als gebundenes Nachschlagewerk mit edlem Artwork samt Best of-CD des ganzen Lineups. Schon das erste, gewaltige Plus für und für die liebsamen und treuen Schäfchen der Label-Unterstützer ein weiteres Sammelobjekt der Begierde.
Den Auftakt machten Crone gegen 12 Uhr – als musikalischer Schulterschluss von Secrets of the Moon-Frontkehle sG und Embedded-Drummer Markus Renzenbrink gab die Combo zur Eröffnung auch gleich ihr Live-Debüt. Mit der „Gehenna“-EP gab es im Oktober 2014 ein erstes Lebenszeichen des progressiven Metals mit surrealem Touch. Obwohl der Auftritt lediglich 45 Minuten währte, kamen dennoch ein paar Längen auf: vielversprechend war die Musik schon auf der Platte, live nicht ganz perfekt umgesetzt. sGs Vocals müssen den Kennern der ersten Stücke bei der Live-Präsentation etwas an inhärenter Stärke gefehlt haben. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, schließlich steckt das Projekt noch im Anfangsstadium – „Your Skull-Sized Kingdom“ stach trotzdem heraus. In blaues Licht getaucht durften die Besucher aber schon früh die geniale Akustik des Ortes bestaunen, welche schon mit Metal-Klängen ein geiles Feeling aufkommen ließ.
Genauso funktionierte das mit den folgenden Lifelover, welche mit ihrem misanthropisch-suizidalen Touch in der Black Metal-Liebhaber-Riege punkteten und für viele Kartenverkäufe verantwortlich waren. Seltsam, dass die Schweden, zuletzt mit dem 2011er „Sjukdom“ in den Schlagzeilen, schon so früh auf der Bühne standen – zum ersten Mal knubbelten sich die Massen aneinander, um den Semi-Corpsepaint-überschütteten Streitern zu lauschen, die mit exzentrischer Art, finsterem Antlitz (Frontmann Kim Carlsson, oft nur ( ) genannt, trat traditionsgemäß in weißem, blutbefleckten Kittel auf mit nacktem Oberkörper auf, geschminkt mit einem breiten Joker-Grinsen) und depressivem Naturell überzeugten. Gut, die Band hier live zu sehen, war die Zukunft nach dem Tod von Gitarrist, Bassist und Pianist Jonas Bergqvist 2011 ja ungewiss: lange keine News, viele Nebenprojekte der Musiker standen mit Hypothermia und Kall im Vordergrund. Eine Retrospektive der gesamten Diskographie und dynamisch-psychotische Kapriolen seitens des Front-Sängers machten Lifelovers Auftritt aber zu einem Highlight.
Hiernach wurde es ruhiger in der Balver Höhle: Amber Asylum gaben ihr letztes Europa-Konzert 2011 – die vier Damen aus San Francisco präsentierten ihren ätherischen Neofolk- & Dark Ambient-Mix mit Bedacht und einem ungemeinen Sog. Wer hätte gedacht, dass die wie ein Film-Score anmutende Träumer-Mucke auch live von so einem Zauber sein kann? Viele Metalheads fühlten sich vielleicht zunächst deplatziert, Freunde von Prophecy Productions wissen aber genau, was für eine immense Ästhetik in dem Werken der Band steckt. Violine, Bass und gelegentliches Schlagzeug, dazu mit Bedacht akzentuierter Gesang: klar, dass von einem „Abgehen“ in der Zuhörerschaft keine Rede sein kann, trotzdem ein schönes und romantisches „Songs Of Sex And Death“-Biotop auf der Bühne, das nach den härteren Präludien den beschaulichen Prophecy Fest-Part einleitete.
Wer sich zwischendurch vom Bühnenaufbau entfernte (die Stage lag by the way direkt am Höhleneingang, gerichtet ins Innere), wird sich wohl vor allem an den Prophecy-Merch-Ständen gedrängt haben, gerade in den ersten Stunden des Festivals. Spätestens jetzt aber lichtete sich auch dort der Andrang etwas, wo man neben dem Textilien-Ausverkauf auch noch mit Sonderkonditionen für alle weiteren Artikel aufwartete: unschlagbare 10€ für die Digipak-Editionen fast aller Alben der Acts aus dem Label-Kader sind ein mundwässerndes Angebot für alle Sammler, und selbst die kostspieligen Limited Editions waren um einiges billiger im Verkauf als im Online Store (teilweise 10-20€ weniger für Vinyl-Platten und Box-Sets sind nicht zu verachten). Bei der Begehung der Höhle in den Umbaupausen mussten auch schon früh die ausgestellten Holzgemälde von Tenhi-Mitglied Tyko Saariko aufgefallen sein, die wie in einer Art Gallery ausgestellt und zum Verkauf angeboten wurden. Gleich daneben gab es immer wieder Signing Sessions der Künstler.
Gegen 16:45 (zugegebenermaßen als kleine Genre-Ausnahme-Combo an diesem Tag) dann die Italiener Camerata Mediolanense, welche ihren ohnehin schon sehr Klassik-orientierten Auftritt noch mit dem Auftritt eines 30-köpfigen Chors namens L’altro coro veredelten, welcher circa eine Stunde zuvor mit einem Reisebus eintraf. Schnell wurde die Höhle in diesen anderthalb Stunden zum Opernhaus, ohne dabei eine folkige Komponente vermissen zu lassen: nur Piano- und Schlagwerk-untermalt ließ man so also die Stimmen der Akteure für sich sprechen. Seit 1994 steht die Musik im Geiste der Renaissance und des Barock für Interpretationen von Dante Alighieri, Francesco Petrarca bis Heinrich Heine und hatte vor der VÖ des aktuellen Albums „Vertute, Honor, Bellezza“ von 2013 eine fünfzehnjährige Pause mit neuem Material eingelegt. Wenn auch der Chor mitunter etwas in den Hintergrund gerückt vor den Stimmen der Haupt-Vokalisten wirkten, war die Resonanz ein schierer Wahnsinn („Bravissimo“- und „Magnifico“-Rufe eingeschlossen). Vor allem Herzstück „99 Altri Perfecti“ riss unnachgiebig mit. Archaisch, traditionell und tribalistisch ging es hier zu, und von Grad des Beeindruckens im Publikum waren Camerata Mediolanense die Gewinner des Events. Klar, dass man ganz wie in einer Philharmonie die Musiker noch einmal auf die Bühne bittet, um zweimaligen Applaus zu spenden. Wow.
Wenn auch nicht für einen Gig war Helrunar– und Wöljager-Kopf Skald Draugir, alias Marcel Dreckmann, an diesem Tag für eine Lesung zur Münsterländer und Sauerländer Sagenwelt zugegen – für die internationalen Gäste überwiegend auf Englisch gehalten, erfüllte der Herr hier seinen Bildungsauftrag und unterrichtete seine nicht zu knappe Hörerschaft (ein Wunder, dass auf einem Festival so viele Hörer antanzten, noch dazu in die kleine Nische ganz hinten) über die Botschaft der Schauergeschichten, die man sich in dem von dichten Wäldern und Mooren übersäten Westfalen einst erzählte und die eben nicht nur Bauernweisheiten und Laientheater umfassen. Seine Liebe zu diesem Sujet macht der Historiker und Skandinavistik-Dozent ja auch in der akustischen Musik von Wöljager (sprich: Wöl-jacha) deutlich, dessen Texte komplett in Münsterländer Platt gehalten sind. Eine 2-Track-Debüt-EP vom bald erscheinenden Album „Van’t Liewen un Stiäwen“ hatte man auch mit im Gepäck. Nicht nur hochinteressant, sondern mit einer Textklang-Hörprobe des fachkundigen Sprechers auch eine willkommene Abwechslung.
Darkher um die Sängerin und Gitarristin Jayn H. Wissenberg gaben sich im Gegensatz zum italienischen Vorgänger-Act mit weit weniger Pomp auf der Bühne, präsentierten sich klanglich auch wieder ruhiger, meditativer und mit Gothic-Feeling. Neben wunderschöner, dunkler Stimmen-Forcierungen aber kein Nachdruck im Gesamtauftritt, trotz Middle Earth-Fantasy-Couleur und Gitarrenspiel mit Cello-Bogen. Womöglich für viele zu experimentell, richtige Begeisterung nur inselweise.
Seit ihrem Live-Debüt auf dem Wave Gotik Treffen 2011 waren die gefeierten Empyrium ihrerseits gefragt und umschwärmt wie nie zuvor. Als reines Studio-Projekt waren die Jungs immer ein Geheimtipp unter den Fans. Klar, dass bei so wenigen Live-Berührungen ein Großteil der Besucher das Ensemble zum ersten Mal live bezeugen durfte – ein Rundumschlag der Frühwerke wurde versprochen und mit Glanz und Gloria auch dargeboten: neben „Lover’s Grief“ selbst das brandneue Stück „The Mill“ von der gleichnamigen EP wurden in großen Gänsehaut-Momenten den Prophecy-Besuchern geschenkt. So wurde die Truppe um Markus Stock und Thomas Helm ihrem Quasi-Headliner-Joch trotz der Tatsache, dass die Band weniger Live-Konzerte gespielt als Alben herausgebracht hat, mehr als gerecht. Live-Unterstützung bei den früheren Malen waren der große Neige von Alcest und auch Cellist Christoph Kutzer – beide an diesem Abend nicht zugegen, ersterer tourt derzeit selbst.
Während Empyrium bereits beim Soundcheck einen Verzug verursacht hatten, folgte mit Tenhi ein noch größerer: nach immerhin acht Jahren Bühnenabstinenz war die Bekanntgabe der finnischen Folk-Spiritualisten im Lineup eine weitere Sensation für das Prophecy Fest, leider war die Technik der Feind der Jungs und der Dame und das Schicksal nicht so hold. Aufgrund von Problemen mit dem Front-Monitor-Sound wird der Anfangs-Song gefühlte hundert Male angespielt, dann von den Technikern wieder abgebrochen – Nervosität breitete sich unter den Musikern aus, auch das Publikum wurde ungeduldig; dazu die Tatsache, dass Balve nun mal nicht der Nabel der Welt ist, und viele Angereiste mit öffentlichen Verkehrsmitteln in der Nacht noch wegmussten und beinahe auf der Kippe stand, alle Bands noch in Gänze sehen zu können. Trotzdem spielten Tenhi dann irgendwann ihr Set, schließlich sind Akustik-Gitarren dann sicher noch schmerzfreier ohne besten Bühnensound spielbar als wenn gleiches Problem bei den Norwegern von Vemod am Ende aufgetreten wäre. Schamanenmusik aus dem hohen Norden hatte zu diesem Zeitpunkt des Abends leider nicht mehr den sonst meditativen und ästhetischen Anstrich, sondern beinahe etwas Einschläferndes, und das war genau der Knackpunkt: Tenhis Sound ist ruhig, der Klang in der Höhle hatte etwas lauschiges an sich, wurde teils vom Publikumsgemurmel übertüncht und in der Setlist dominierten zudem ausgerechnet die noch zäheren Langsamkeitsmonstren der Diskografie der Gruppe, wenn man auch zu Gute halten muss, dass „Kielo“ aus besagtem Schema herausfiel und man schon den Fokus auf Stücke mit traditionellem, finnischen Gesangstext legte, wo auch noch weit mehr Stücke reine Instrumentale sind. Außerdem gab es gegen Ende noch einen Surprise-Auftritt von Dornenreich – schließlich saß neben Neun Welten-Violinistin Aline Deinert auch kein Geringerer als Jochen „Evíga“ Stock schon im Live-Support Empyriums, jetzt noch einmal bei Tenhi – sonst erfahrene Live-Kehle bei der österreichischen Dark Metal und Akustik-Folk-Band mit D. Irgendwie in den kurzen Minuten eine Million mal reißerischer als mit einer Stunde Tenhi, was leider kein Kunststück war.
Ein fulminantes Finale lieferten zu später Stunde noch die Norweger Vemod, welche ungerechtfertigt nur wenig Publikum lockten (viele werden aufgrund der vorangeschrittenen Zeit früher abgereist sein) – ein insgesamt sehr bedächtiger Charakter ihrer Musik, der einen echten Höhepunkt des Abends lieferte, der noch einmal auf den Punkt brachte, was Prophecy Productions eigentlich ausmacht: Spiritualität, Einklang von Seele und Natur, Faszination des Düsteren. Mit unfassbar stimmigem Intro-Ritus, bei dem Jan Even Åsli zunächst zu entzündeten Räucherstäbchen ein mysteriöses Schlüsselbund erhob und zu langatmigem Ambient-Sound seine „Aaah“-Gesangs-Passagen präsentierte, während eigentlicher Frontmann und Gitarrist Azazil ein Glockenspiel zückte. Erst dann irgendwann Black Metal-Stürme, monoton, doch von blanker und roher Schönheit, das alles vor eingeblendetem Sternenhimmel – der Astronomie scheinen Vemod besonders verbunden zu sein, auch thematisch drehen sich die Songs um Nordlichter und das Weltall. Atmosphärisch und wundervoll.
Fazit: Das erste Prophecy Fest mauserte sich zu einem berührenden und ewiglich in Erinnerung bleibenden Paradies für Anhänger der hier promoteten Musik. Kritik kann man stellenweise nur an den technikbedingten Verzögerungen anbringen, aber das ist wie so oft Meckern auf hohem Niveau, schließlich hätte es auf anderen Festivals ganze Setkürzungen oder Bandausfälle angesichts dieser Problematiken gegeben – hier räumte man auch mit Inkaufnahme größerer Zeitverschiebungen den versprochenen Spielrahmen für alle Bands ein. Tatsächlich gab es neben den Bands im Festival-Lineup noch ein paar weitere Überraschungen in Form von weiterer Prophecy Productions- und Prominenz der deutschen Black Metal-Szene mit der Komplettbesetzung von Helrunar (neben Dreckmann noch Sebastian „Alsvartr“ Körkemeier), Alboîn, Marlek und Satyrus.S von Eïs, sowie Torsten Hirsch, aka „Der Unhold“, von Agrypnie und Nocte Obducta, die auf dem Gelände umherwuselten und zu ein paar netten Gesprächen gerne bereit waren. Ein „Höhlen“-Festival hatte definitiv großen Charme an sich, auch wenn man zwischendurch ein paar Tropfen von der Gewölbedecke abbekam.
Für knappe 60€ für ein 1-Tages-Programm war man in diesem Jahr sicherlich im oberen Preissegment, sollte sich das preislich halten und nächstes Jahr an zwei Tagen stattfinden, ist das sicherlich angenehmer. Trotzdem ist der Preis für das Dargebotene gerechtfertigt. Camping und Parkgebühren sind hingegen an der Location leider wirklich nicht das Gelbe vom Ei gewesen: 3€ Parken, 15€ Camp-Aufpreis. Im kommenden Jahr, so kündigte man früh an, wird das Prophecy Fest wieder stattfinden – diesmal zu weniger kühlen Verhältnissen statt an der Kante zum Herbst schon Ende Juli. Als Datum ward der 29./30.07. auserkoren – Bandbestätigungen gibt es jedoch noch keine.
Reservierungen für das Prophecy Fest 2016 können bald hier abgeschlossen werden.