Das Phänomen Nachtblut geistert schon seit fast zehn Jahren durch die Musiklandschaft und hat seit dem Wechsel unter die Fittiche von Napalm Records nochmal an Bekanntheit zugelegt. Wer die Truppe noch nicht kennt und die Musiker dahinter zu Gesicht bekommt, wird unweigerlich ein rohes Machwerk kriegerischen Black Metals erwarten – denn mit dieser Optik wird hier gerne gespielt. Dass Bandchef Askeroth mit seinem Gefolge aber eine außerordentliche Variation in Stil und Klang anschlägt, die sich vom derben Sturm der extremen Subkultur über melodischen Dark Metal bis hin zu Elementen der Neuen Deutschen Härte zieht, ahnt man zunächst nicht voraus. Stilistisch knüpfen die Niedersachsen da an, wo mit „Dogma“ 2012 aufgehört wurde – tatsächlich ist es bereits das vierte Opus, das hier mit „Chimonas“ präsentiert wird. Pünktlich zur dunklen Jahreszeit wollen wir das neue Machwerk unter die Lupe nehmen und schauen, ob dieses Genre-Mischmasch zieht.
Die Osnabrücker bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen gewohnt dissonantem und verrohtem Black Metal und melodischen Gothic und Dark Metal, über den viele mit größter Sicherheit behaupten werden, dass es diesen eigentlich gar nicht geben dürfte. Die Instrumentierung Nachtbluts prügelt dem Hörer in manchen Liedern wahrlich den schwarzmetallenen Denkzettel in die Stirn, während sich die Stimme von Frontmann Askeroth, die zweifelsohne variabel ist, zwischen hohen Scream-Einlagen à la Cradle of Filth, Eisregen-Gegrunze, sowie dem rollenden „R“ und gesprochenen Passagen in bester Rammstein-Manier bewegt. Problem ist hierbei nur, dass er mit seiner Stimme dann wieder den zügigen Sprung von dem ruhigen Gesangsmoment in den Guttural-Part nicht zu schaffen scheint. Völlig überkandidelt und überpräsent wirkt da die kratzige, raue Stimme, die noch zu dem knalligen Opener „Gotteskrieger“ passt und für den Rest des Albums Black Metal verspricht. Dies stellt sich aber schnell als Lüge heraus. Bei den ruhigen, folgenden Songs indes zieht das Stimmwerk des Fronters einfach nicht und verkommt zu einem Versuch, finstere Inhalte vor ruhiger Musik zu präsentieren. Dazwischen eingemischt finden sich immer wieder Synthetik-Elemente, dann wieder ein Sprung zu schleppend trägem Dark Rock, bevor der rasante Bombast der extremen Metal-Sparten erneut wie aus einer Tube auf das ganze Werk ausgedrückt wird.
Nicht, dass die Band nicht Kreativität beim Komponieren und gemeinsamen Spielen zeigte – das Problem ist da eher das klischeehafte Gesamtbild, das durch Nachtblut vermittelt wird. Schon bei vergangenen Werken geiferte man davon, wie Vampire zu sein und leidenschaftlich Blut zu konsumieren, dass man kein Vertrauen in Gott stecken dürfe und gefälligst auf eigenen Beinen stehen solle. Auch bei „Chimonas“ stecken immer wieder gleiche Motive in den Lyrics – „wir dürfen nicht wie Gott sein, wir dürfen nicht seinen Weg geh‘n“ heißt es schon beim gleichnamigen, kitschigen Über-Trödel-Lied, in dessen Musikvideo Askeroth und Konsorten vor überblendetem Weißlicht im Schneefall performen. Ob ihres Auftretens – finstere Klamotten, Drudenfüße, böse dreinblickend mit bohrenden Kontaktlinsen & ein wenig Corpsepaint – würden sie durchaus nicht neben Immortal und Darkthrone auffallen. Dafür knallt es aber dann nicht ordentlich genug aus den Lautsprechern und die erzählte Geschichte über Verletzte und Verunfallte, die nicht durch höhere Macht, nur durch Hilfsbereitschaft der Mitmenschen errettet werden können, reibt anmaßlich, hochgestochen und prätentiös ein „Gott ist blöde“ ins Gesicht. So tun es leider auch viele andere Stücke der Gruppe. Das ebenfalls in einem Lyric-Video verewigte „Wien 1683“ wirkt wie eine Geschichtsstunde, an die sich Textschreiber und Musiker in einer Session erinnert haben, haut diverse Beschreibungen einer aussichtslosen Kampfsituation im Wiener Barock raus und vergeht genau so schnell, wie es gekommen war. Trotz netter Zusatzelemente wie Fanfarenklänge und einem Mitgrölrefrain, der tatsächlich ganz solide wirkt. Merkwürdige Texte wie bei „Dort, wo die Krähen“ oder „Töte mich“ folgen darauf allerdings wieder, die eine Gothiclyriklandschaft entwerfen wollen, aber leider nur finstere Worte bar jeglichen Zusammenhangs aneinanderreihen, die abgebrüht und fies klingen wollen und es gelegentlich auch können. Schabt man aber den Klang ab und schaut man unter die Oberfläche, so zeigt „Chimonas“ –und hier stellt sich auch die Frage, was uns der Titel des Albums sagen will; Google gibt genau wie das titelgebende, letzte Lied der Platte leider keinen Aufschluss darüber- sein wahres Gesicht: die Musik von Nachtblut ist reißerisch und vermittelt ein blasphemisch-menschenfeindliches Image, aber einen besonderen Kunstwert, über den man nachgrübeln könnte, hat sie auch nach fast zehn Jahren Bandgeschichte nicht. Man kann bei diversen Lyrics wirklich nur hoffen, dass niemand, der sich auskennt, mal wirklich den Interpreten und Analysten spielt und Maßband anlegt – falls doch würde wohl vernichtendes Urteil pseudopoetischen Kitschs hereinbrechen. Gothicromantik? Fehlanzeige. Sujet Tod, so wie Eisregens Blutkehle es behandelt, Horrorfilm-artig und aufwühlend? Ebenfalls durchgefallen. Lindemann’sche Textironie? Von wegen. Und wer ernstlich Nachtblut im Black Metal ansiedelt, der meint mit Sicherheit auch in Santiano heidnische Metal-Elemente zu erkennen, weil hier und da ein gleiches Instrument auftaucht.
Fazit: Sagen wir es mal so – Nachtblut wartete einst mit dem erfolgreichen Song „Antik“ auf, der gleich auf zwei Alben veröffentlicht wurde. Es gab viele Festivalauftritte, die durchaus Anklang fanden, aber irgendwie dann doch zum Gehirnausschalten anregten. Mit „Chimonas“ kann die Band nun aber nicht so recht überzeugen. Askeroth selbst nennt sein Kindchen Nachtblut gern ein Mittelfinger-Projekt und offenbart mit dieser Aussage seine Punker-Ader. Eine Absage an Gott, an jeden, der dem Frontmann in seinem Leben etwas vormachen oder vorschreiben wollte, an Kirche und Gesellschaft. Persönliche Frustration schwingt dabei ja schon manchmal mit. Ja, die Texte sind sozialkritisch – aber nach Art eines Vorschlaghammers, bestenfalls ein Wink mit dem Zaunpfahl. Das dürfte eigentlich niemanden überraschen, der sich in den vergangenen Jahren eingehender mit Nachtblut beschäftigt hat. Ich selbst möchte den Jungs aus dem Osnabrücker Land keinesfalls absprechen, ihren musikalischen Weg stringent fortzuführen und auch live solide Shows präsentieren zu können. Dennoch bewegt sich die Truppe mehr und mehr auf einem Trampelpfad in ein tiefes, sehr tiefes Tal aus Stumpfsinn, zur Rechten immer wieder ein Schwenk ins Humorvolle. Zur Linken der steile Berg, auf dem überzeugende andere Bands schon seit Jahren hausen, mit so viel besseren Texten, die viel genauer den Punkt treffen, den Askeroth so gern träfe bei seinen Hörern. Wer nicht viel erwartet, wird nicht enttäuscht mit „Chimonas“ – nur zehn Songs umfasst das Ding, ist mitunter melodisch und hat balladeske Momente ebenso wie explosive Metal-„Auf die Fresse“-Einlagen. Hier und da sehr schicke Instrumentalpassagen, immer wieder aber durchbrochen von einem wulstigen Klischee nach dem Anderen. Frei nach dem Motto: böse und cool, aber ohne Fundament und jeglichen, hervorstechenden und greifbaren Inhalt. Keine Offenbarung, leider. „Chimonas“ ist seit dem 17.10. bei Napalm Records im Handel erhältlich und gibt es als reguläre CD oder als limitierte Vinyl-Platte.