Mit rein instrumentaler Musik verhält es sich oft so, dass der Inhalt unfassbar bleibt, der sich gewohntermaßen erst durch Liedtext und Gesangsstil beimengt. An genau diese Normen sind wir ja auch gewohnt: wenn man nicht gerade selbst ein Instrument beherrscht und sich mit den Songs seiner Lieblingsbands auch auf kompositioneller Ebene näher beschäftigt, liegt der Fokus zumeist auf der Sängerin oder dem Sänger, den Worten, der Eingängigkeit eines Refrains. Es muss hart sein, bewusst ohne dieses Element Inhalte zu vermitteln. My Sleeping Karma aus Aschaffenburg sind hier aber wahre Virtuosen geworden: nach vier Longplayern und dem von Kritikern gefeierten Letztwerk „Soma
“ (2012) folgt nun der fünfte Streich mit dem Mitte Juni erschienenen, neuen Album „Moksha
“. MSKs Musik ist geprägt von Psychedelic und Stoner Rock, thematisch bewegen wir uns -angefangen beim Bandnamen bis hin zu den Lied- & Albumtiteln- im Sujet der hinduistischen Götterwelt. Der Titel des brandneuen Outputs bezieht sich auf das Lebensziel, den „Sinn der Existenz“ in der indischen Religion. In diesem selbstgewählten Universum bastelt das Quartett nun schon in ihrem zehnten Jahr des Bestehens an ihren Soundtracks für Meditations-Exilanten, Acid-Trip-Liebhaber oder eben für verschlafene Träumer. Wir haben uns das neue Album mal näher angeschaut.
Der Opener „Prithvi“ allen voran war bereits im April als erste Single-Auskopplung zu bewundern – das zugehörige in schwarz-weiß gehaltene Stop-Motion-Video wirkt in Kombi mit der bohrenden Basslinie beklemmend und ästhetisch zugleich. Als Intro-Song zum Album wird hier eigentlich recht minimalistisch gearbeitet: Monotonie bei dem einen Instrument wird überlagert mit viel Abwechslung in Gitarre und Schlagzeug. Die wahre Power eines jeden My Sleeping Karma-Songs kommt aber wohl vom konsistenten Songfluss ohne Zähigkeit oder Stocken. Dazu treten außerdem wundervolle und punktuiert eingesetzt Einzelelemente aus dem „Soundboard“, wie die Band ihre Sampling-Elemente liebevoll tauft. Klavier, Geige, und mehr. Nicht zuletzt ist auch der Titeltrack ein herausragendes Stück des Albums geworden – der neunminütige Hüne beginnt mit schwermütigem Piano-Sound und bricht später auf dem Hochpunkt der „Moksha“-Kurvendiskussion erst richtig aus: das immer wieder stark im Vordergrund stehende Bass-Spiel von Matte steht hier mit schnellerem Gitarren-Spiel von Seppi auf einem Level, wo es vorher noch typisch post-rockig mit Delay und langsamem Gezupfe vonstattenging. So wird der Song hier zum einschlägigsten, eingängigsten und kraftvollsten Ding auf dem ganzen Album.
„Moksha“ strahlt auch durch seine klare Produktion mit großer Intensität: die herausragenden Instrumentenbestandteile und alle Ausflüchte in diverse Klangeinheiten sind exzellent in Szene gesetzt. Zudem ist das Album wie schon die Vorgänger recht leise abgemischt – laut Bassist Matte „ein Gegenentwurf zum ‚Loudness war‘ der Musikindustrie, sowie Abgrenzung von der schnelllebigen und überfrachteten Gesellschaft.“ Aber trotz all des Lobs muss man sich Folgendes eingestehen: leider ist verständlich, warum nicht alle Rock- und Metal-Konsumenten My Sleeping Karma abgöttisch verehren. „Moksha“ ist bei weitem kein „straightforward“- oder Mainstream-Release, was schon alleine am Albumaufbau liegt. Sechs eigentliche Stücke, welche durch fünf teils kurze, teils nur dem Ambiente dienliche, orientalische Interludien voneinander getrennt sind (und welche streng genommen mit indischen Chorgesängen doch ein paar Gesangsparts enthalten). Ebenso könnte man nicht zwingend davon sprechen, dass die Band jetzt auch nur irgendeinen Finger in dem Vorhaben gerührt hätte, großartig etwas anderes als vor zehn Jahren in ihrem Proberaum zusammenzuzimmern. Natürlich perfektionieren My Sleeping Karma ihren Stil mit jedem Release – aber das Gewand und das Äußere sind nichts Anderes als beim selbstbetitelten Debüt von 2006, ja, man könnte sogar Stücke vom neuen Werk nehmen und ohne, dass es jemand bemerken würde, diese mit einigen auf anderen Alben austauschen. Ob man in dieser beharrlichen Konstanz nun auch unkreative Stagnation sehen mag, wie sie mitunter der Band vorgeworfen wird, oder eher zielstrebiges Fortführen und Ausbreiten ihrer eigenwilligen Stilnische, das bleibt wie so oft jedem selbst zu urteilen überlassen.
Fazit: Das neue Album der Jungs von My Sleeping Karma hat es in sich, obschon es wenig Überraschungen in den Hosentaschen trägt. Träumen, Staunen, im Geist auf Wanderschaft gehen… dafür eignet sich der Psychedelic Rock der Truppe über alle Maßen. Härtere Passagen werden durch meditative Ruhepausen abgelöst, die ein wahrhaft transzendentales Feeling aufkommen lassen – und ob man nun Freund des Zen-Buddhismus, des Tantra oder von Yoga-Techniken ist, ganz gleich, genau hier wurzelt das Machwerk der Herren aus Aschaffenburg, und diese Anlehnungen sind überdeutlich zu spüren. „Moksha“ ist in sich geschlossen, beeindruckt durch seinen Detailreichtum, beruhigt und hat schlicht etwas Erhebendes in sich. Vor allem freut man sich einfach, dass es derartige Musik da draußen gibt, dessen Fokus auf dem Stimmungstransport liegt und dessen Durchdachtsein nicht an der obersten Schicht aufhört – auch wenn ein zentrales, musikalisches Element der Rock- und Metalmusik hier mit dem Gesang fehlt, ist das Gesamtwerk von MSK derart facettenreich, dass man zwischen Komplexität, Gefühl und Atmosphäre immer neue Schätze entdecken muss. Vorausgesetzt, man lässt sich auf die eigenwillige Musik ein und nimmt sich Zeit für die langen Stücke. Diese müssen sich nämlich mit ihren 6-10 Minuten Laufzeit erst lange aufbauen und entfalten. Wir sind auch fernab jeglicher zeitgenössischer Post Rock-Scheiben und verlieren uns auch nicht in zu aggressive Töne, die man dann Sludge oder Post Black Metal nennen könnte, weil hier viel mehr Ideengut zusammenläuft. MSK gehen einen Mittelweg. Das Schönste ist wohl, dass hier ohne Text, ohne Gesang, ob nun Clean oder in ruppigerem Ton, dennoch Gefühl und Emotion in den Songs hervorgerufen werden. Wer aber nun fragt, warum „Vayu“ aufrüttelnd, bedrohlich und melancholisch wirkt, während das schließende „Agni“ einfach happy und voll von Zuversicht und Hoffnung daherkommt, ist die Erklärung schwierig. Diese Einimpfungen schwappen in den Soundwällen an den Hörer heran, ohne dass er sich wehren kann und ohne dass er versteht, wie ihm geschieht. Eine einzigartige Band mit ebenso einzigartigem Klangerlebnis.
Interesse geweckt? „Moksha“ erschien am 29. Mai via Napalm Records und ist sowohl auf CD als auch Vinyl erhältlich.