Die vorösterliche Zeit stand dieses Jahr ganz im Zeichen des deutschsprachigen Post-Hardcore: die Century Media-Kinder Marathonmann gastierten bei ihrer aktuellen Tour zum 2014er Werk “… und wir vergessen, was vor uns liegt” im westlichen Ruhrgebiet. Die Münchner machten am 01.04. Halt im Oberhausener Kulttempel und lieferten eine routinierte, abgebrühte und schweißtreibende Show ab. Bereits 2013 und 2014 wurde die Truppe um Bassist und Sänger Michi Lettner auf unzähligen Festivals gefeiert und war dort schon mit ihren intensiven und aufrüttelnden “Herz und Seele”-Texten unterwegs, zunächst gar als Vorband von Jennifer Rostock mit der Berliner Rockröhre Jennifer Weist. Hier erfahrt ihr, was der Abend an Überraschungen brachte und ob sich der Besuch gelohnt hat.
Den Anfang machten allerdings zunächst die Berliner Punk-Vögel Weltraum Power. Mit ihren humorvollen Texten und ihrer verspielt-infantilen Attitüde wusste das Quartett dem Publikum nicht nur schnell Feuer zu machen, sondern zeigte auch gnadenlosen Spaß an der Sache. Bandkopf Fabi Feuer, der einem größeren Publikum wohl durch seine Beteiligung bei Kotzreiz (hier mit dem prägnanten Pseudonym „Kotze“ unterwegs) oder den bereits aufgelösten 200 Sachen bekannt ist, winkte immer wieder mit einem treudoofen „Hallo“ in die noch sehr leere Menge und begeisterte durch seine kompromisslose „Üärgh“-Art am Mikro. Ein bisschen unsauber, ein netter Rio Reiser-Timbre dabei. Die Texte drehen sich beispielsweise mal in melancholischem Anstrich um die „abgelutschte“ Hauptstadt in „Das ist Berlin“, mal in wundervoller, minimalistischer Nonsens-Manier um das WG-Zimmer des Frontmanns selbst in „Fabis Zimmer“ mit einem gehörigen Party-Sound. Gute-Laune-Punk zum Mitgehen, ein Reinhören für jeden Deutschpunker im Herzen nicht bloß wert, sondern quasi obligatorisch. Auf jeden Fall ein klares Statement an die Liebe zur Musik und kein „Sich-dem-Hype-Ergeben“, um dem eigenen Sound ein Denkmal zu setzen, von der gehörigen Portion Selbstironie mal ganz zu schweigen. Die Dame und die drei Herren rockten etwa vierzig Minuten lang das Parkett, bevor man die Bühne für Support Nr. 2 freigab.
Etwas melodischer, aber nicht minder kraftvoll ging es mit der Dresdner/Berliner Kombo Mikrokosmos23 weiter. Oft getragen von einer schwermütigen Couleur füllte der Deutschrock der Herrenrunde den Kulttempel. Oft attestieren manche Quellen im Netz der Band einen Hipster-„Stimme der Generation“-Vorzug, und da muss man wohl gleichsam auch sehen, dass die Musik nachdenklich und nachhaltig ist, womit sie damit dann dem Hauptact nicht ganz unähnlich gewesen sind. Die Knaben Anfang 20 spielen recht kräftig zupackenden und spielerisch fordernden Indie Rock mit deutschen Texten und stilistischen Freiheiten, die sich so manche Nullachtfünfzehn-Punk-Kinder weder nehmen wollten noch könnten. So sind auch die Texte intelligent und drehen sich thematisch ums Erwachsenwerden, um kritisches Auseinandersetzen mit der heutigen Jugendgeneration und vom träumerischen Entfliehen der Kleinstadt, mit Auf-den-Punkt-Weisheiten und jugendlichem Pathos. Die Band wurde 2005 in der Kleinstadt Meißen gegründet und blickt mit drei LPs und einer Handvoll EPs und Splits bereits auf eine schon recht große Diskographie zurück. Man präsentierte sich grandios mit dem hochgelobten MTV-Rotation-Song „Knightrider Generation“ oder weiteren Youtube-Klassikern wie „Wie kommst du an“ oder dem getragenen „Reisegäste“. Die meisten Stücke entstammten wohl dem jüngsten Album „Alles lebt. Alles bleibt“ von 2013. Brillenträger und Screamo- wie Normalgesang-begabter Mann am Mikro Peter Löwe holte sich auch gegen Ende des Auftritts bereits Marathonmann-Kehle Michi auf die Bühne, um einen Song gemeinsam zu performen – nicht ohne die tiefe Freundschaft der Bands zu betonen.
Als gegen 21 Uhr Marathonmann auf die Bühne traten, war das dünne Publikum doch bereits etwas ausgelaugt – das zeigte leider die Tatsache, dass der Frontmann direkt mal darauf hinweisen musste, dass man näher zur Bühne treten sollte, da man sonst „nicht ausreichend geerdet“ wäre. Etwas skurril und wie bei einer den Leuten im Saal in Gänze unbekannten Band, die erstmal Stimmung machen müsste. Nach dem zweiten Song sogar der Wink, dass man schon allein aus Brandschutzgründen direkt vor der Bühne stehen müsste.
Nicht, dass keine Begeisterung für die aufstrebenden Münchner vorhanden gewesen wäre – allerdings waren die eingefleischten Marathonmann-Fans leider rar gesät an diesem Mittwochabend. Nichtsdestotrotz war der Auftritt der Hardcore-Jungs stark, emotional und unfassbar kurzweilig. Den Anfang machten die vorpreschenden Songs „Rücklauf“ und „Alles auf Null“ vom aktuellen Werk, bevor die Band ihre Hörerschaft begrüßte. Überhaupt bedankte sich Lettner am Mikro extrem viel und machte lange Ansagen, die aber von Herzen kamen und keineswegs zu große Pausen hervorriefen – dazu gab er an, dass es nur gut wäre, wenn man heute Abend nach Hause ginge und behauptete, man hätte zu viele Dankesworte von sich gegeben, denn das käme ja ohnehin immer viel zu kurz. Wo er Recht hat, hat er Recht. Außerdem ist es den Musikern sehr wichtig, in Worte zu fassen, warum sie tun, was sie tun. Die Motive Marathonmanns liegen ohnehin auf einer sehr gefühlvollen Ebene und erzählen von besserem Zusammenleben („Gleichheiten“), davon, nicht mit Scheuklappen durch die Welt zu gehen („Onkalo“) und der bindenden Freundschaft („Holzschwert“). Genannte Songs waren wohl auch die herausragendsten Highlights einer Live Show, die eigentlich bloß am quantitativ sehr dünnen Publikum zu kränkeln hatte, aber qualitativ unschlagbar war. Aber auch das hielt den Marathonmann nicht von seinem Lauf ab: denn, so Lettner, ob man hinten genieße oder vorne abgehe, das sei ganz gleich, solange sich die Münder bewegten zu den Stücken. Sehr drückend und trauervoll wurde es mit dem Stück „Abschied“, obschon auch hier ordentlich Wumms drinsteckte – aber das Sujet Tod rief eine einschwörende Stimmung im Saal hervor, gerade wenn in der poetischen Ansage von „aufgeplatzten Türen im Kopf“ die Rede war, als der Sänger den Song schrieb. Auch sehr nice: ein Cover vom Ramones-Song „Poison Heart“ mitten in der Setlist. Auch Peter Löwe von Mikrokosmos23 trat noch einmal als Gastsänger auf die Bühne. Für den letzten Song „Die Stadt gehört den Besten“ traten sogar zwei Musiker aus der Techniker-Riege der Band und des Labels als Gäste auf die Stage und ersetzten Schlagzeuger Marcel und Gitarrist Robin. Am Ende dankte die Band noch einmal „für Augen und Ohren“ und reichte den Damen und Herren vor der Bühne die Hände.
Ein großartiger Abend mit den kosmonautisch-fantastischen Weltraum Power, den starken Mikrokosmos23 und den schonungslos ehrlichen Marathonmann entwickelte sich schnell zu dem „place to be“ am eigentlichen Streiche-Tag. Aufrüttelnde, anspruchsvolle und lyrisch hochwertige Musik in Verbindung mit ordentlichem Punk und Hardcore sind für die Headliner Marathonmann schon lange Markenzeichen geworden. Schade, dass nicht so viele Besucher den Weg in den Kulttempel fanden. Unbeirrbar geht es aber weiter auf dem Erfolgs-42km-Lauf: dafür sprachen nicht nur die hohen Verkaufszahlen und guten Kritiken der ersten zwei Alben der Band. Neben der Debütplatte von 2013, Holzschwert, blickt die nach der Goldman-Romanfigur Thomas Levy benannte Band (Schmerzen durch erlittene Folter ausblenden, unentwegt weiterlaufen, niemals aufgeben – daher als “Marathon-Mann” bekannt) auch auf mehrere EPs zurück. Und mit Sicherheit wird die Erfolgsreise noch lange weitergehen, bei Abenden wie diesen, wo man mit Herz und Seele in Einklang gerät und einfach abgehen kann, sorglos und zuversichtlich. Die Welt kann warten. Und das brüllen wir hinaus.