Nach der Festivalsaison des Sommers melden sich derzeit die unbändigen Herren der Letzten Instanz mit neuer Konzertreise zurück. Und man kehrte an alte Schären zurück: wie bei der 2008er ‚Weißgold‘-Tour sollten die Gothic Rock-Songs ihrer Diskographie erneut in ein ästhetisches Akustikgewand gesteckt werden – und in Reminiszenz an ihr 1997er Erstlingswerk „Brachialromantik “ taufte die Band die Herbst-Tour auf den eigentlich gegensätzlichen Titel „brachial leise“. Sieben Jahre Erfolg und vier neue Alben seit der letzten Tournee in diesem Stil sollten nun auch eine Metamorphose durchwandern. Am 16. Oktober bescherten die Dresdner auch die für solche Anlässe überaus beliebte Christuskirche in der Bochumer City. Was der Abend mit sich brachte, lest ihr hier.
Die vom Regen durchnässten Besucher, die jeden letzten Platz füllten, wurden vor Beginn des Hauptprogramms zunächst von Silke Volland auf der Bühne begrüßt, besser bekannt als Subway to Sallys Violinistin Frau Schmitt. Im reinen Instrumentalkleid bescherte die Musikerin erst nur in Begleitung von einem Schlagzeug (Sebastian Meyer am Werk), später gemeinsam mit Ally Storch (auch schon mit ASPs Von Zaubererbrüdern unterwegs, Soloprojekt: Ally The Fiddle) dem Publikum der Christuskirche eine andächtige, klassische Musikausfahrt. Die sympathische Künstlerin versüßte die dargebotenen Songs mit einigen stimmungsvollen Einleitungen und Ansagen, in etwa, wo die Stücke geschrieben wurden, oder welche Bilder man beim Hören vor Augen haben musste – beispielsweise das endlos scheinende Grau in den Häfen Norwegens, die lustigen Sessions mit Frau Storch, deren Anreise immer unter dem Joch der Bahnverspätungen stand oder ihre Reisen durch die Städte der Ukraine. Wehmütig, emotional und getragen die Stimmung, aber stets von einer großen Ästhetik begleitet. Das Vorprogramm, pünktlich um 20 Uhr begonnen, fiel insgesamt eher kurz aus, ergab aber hierdurch für die weniger Klassik-Affinen in den Kirchenreihen auch keine zu großen Längen – denn typischer Letzte Instanz-Support sieht eigentlich anders aus. Frau Schmitts Präludium passte hier in das Kirchensetting jedoch perfekt hinein. Beide Streicherinnen waren ohnehin später noch im Ensemble des Hauptprogramms zu sehen, insofern war klar, dass das Vorspiel keine epische Länge aufwies. Das Meyer-Schmitt-Projekt soll es zukünftig auch auf CD zu hören geben, das versprach die Dame, bevor sie sich dankbar und mit einem „Bis gleich“-Winken verabschiedete.
Nach kurzer Pause sammelten sich nach und nach die sechs Musiker der Letzten Instanz samt ihrer Support-Damen auf den leeren Plätzen an den Instrumenten. Neben den zwei schick gekleideten Frauen, die eben schon auf der Stage standen, stand noch Singer-Songwriterin Lisa Morgenstern am Keyboard und rundete das Bühnenaufgebot ab. Mit dem emotionalen „Ewig“ betrat Sänger Holly Loose die Bühne von hinten durch den Saal und sang die ersten Zeilen, während er den Weg durch den Mittelgang zwischen den Bänken nahm (sofern ihm die Horde an Fotografen nicht den Weg versperrte). Die Frage, ob eine erneute Akustik-Tour im Sinne der Fans ist, erübrigte sich schnell: mit „Blind“ und „Ganz egal“ setzte man zügig fort, und nach dem emotionalen Klassiker „Komm nie zurück“ leitete der charismatische Sänger den nächsten Song damit ein, dass er die Damen auf der Bühne vorstellte und hinzufügte: „Diese drei Mädels sind für uns der ‚Traum im Traum.‘“ Während in den ersten Stücken noch alle braven Schäfchen in den Kirchenreihen saßen, hatte Loose erst zu „Wieder einmal rot“ zum Tanzen und Aufstehen aufgerufen. Auch er selbst hatte kaum noch Lust, auf seinem Hocker sitzen zu bleiben – sein Kommentar: „wir sitzen den ganzen Tag im Bus, dann kommen wir auf die Stage und wir sitzen schon wieder. Ich habe vom Touren schon Hornhaut am Hintern.“ Trotzdem rief er zur Contenance in der Kirche auf: schließlich wollte der Pfarrer am nächsten Tag sicher keine Fußabdrücke von den Bänken wischen. „Der Garten“ samt türkischen Textpassagen, die Loose perfekt beherrschte, sowie das folgende „Morgenrot“ kurbelten die Stimmung noch einmal mehr an. Für die eingefleischten LI-Fans brachte die Konzertreise noch weitere Höhepunkte mit sich: gleich als die Worte „wir arbeiten auch an einem neuen Album“ erklungen, ging ein Raunen und Jubeln durchs Publikum. Die Frage „Wollt ihr davon was hören?“ wurde natürlich mit einem einhelligen „Ja!“ quittiert. So beeindruckten die ruhigen Songs „Sag wo bist du“ und „Unsere Augen“, die extrem gefühlvoll und mit persönlichem Textinhalt begeistern konnten. Keyboarderin Lisa Morgenstern begleitete Loose gesanglich und steuerte sogar einen eigenen Song bei: mit „Bury Me“ demonstrierte die freizügig gekleidete Dame ihre Stimme mit einem eingängigen und schwermütigen englisch-sprachigen Song. Nach „Wir sind allein“, zu dem noch ein wenig Nächstenliebe und Freundschaft gepredigt wurde und sich alle im Kirchensaal zum „La la lalaa“-Chor an den Händen fassten, egal ob fremd oder nicht, endete mit „Mein Todestag“ und „Von Anfang an“ das reguläre Set. Die Untermalung mit Geige, Violine und Cello, letzteres natürlich von Benni Cellini gespielt, kleidete die Songs in wunderschöne, neue Gewänder – vor allen Dingen war die Auswahl der über sechzig Songs, die Loose und seine Kollegen seit 2008 auf CD gebannt haben, einfach passend. Als fulminante Zugaben gab es noch „Nur für uns“, das ebenfalls neue „Wir sind eins“ und zum Grand Finale den „Sandmann“, zu dem nach und nach jeder Musiker des Ensembles einzeln die Bühne verließ und so immer eine Instrumental-Facette weniger zu hören war. Im Foyer traf man aber noch seine Idole auf ein Bier und das eine oder andere Foto, bevor der Abend ausklang.
Fazit: Letzte Instanz schafften es auch auf der diesjährigen Akustiktour wieder einen bewegenden und andächtig-schönen Musikabend zu bescheren. Auch die Songs der vergangenen Jahre funktionieren im reduzierten Akustikgewand und entfalten so eine ganz andere Kraft – interessant, dass mit drei Songs doch schon eine Handvoll Brandneues vom kommenden 2016er Werk eingestreut wurde, und noch weit interessanter wohl die Tatsache, dass diese so, wie sie die Besucher der „brachial leise“-Tour erleben durften, nicht auf dem Album zu hören sein werden, was das Songerlebnis noch exklusiver und süßer machte. Das ruhige, klassische Vorprogramm ging schon unter die Haut, sofern man sich auf diese Art von Musik einlassen konnte – nur, weil Frau Schmitt bei StS mitwirkt, durfte man nämlich keine stilähnlichen Ausflüge erwarten, falls das überhaupt jemand im Saal erwartet hatte. Wer sich den beeindruckenden Abend mit der Instanz hatte entgehen lassen, dürfte sich ärgern. Unvergleichlich und berührend! In seinen letzten Worten wies Holly Loose noch auf die winterliche Eisheilige Nacht-Tour mit Subway to Sally, Fiddler’s Green und Versengold hin, zu der man sich sicher wiedersehen wird. Gerne!