201051015_Bochum_Joachim_Witt_Joachim_Witt_0511Kein Geringerer als der Hamburger Altmeister Joachim Witt begab sich am vergangenen Donnerstag, 15.10., im Rahmen der „Hände hoch!“-Tour zu seiner neuen CD in die Matrix Bochum. Schon seit den Zeiten der Neuen Deutschen Welle der 80er bis heute hat der Stilwandelwicht unzählige Hits gelandet und Höhen und Tiefen durchlebt. Der vielseitige Chanteur, der mittlerweile auf 35 Jahre Musikhistorie zurückblicken kann, präsentierte dabei aber nicht nur neue Stücke, sondern auch getreu der Parole „Rückkehr des Goldenen Reiters“ alte Gassenhauer-Songs. Hier lest ihr, was der Abend mit sich brachte.

Da die ursprünglich als Support angekündigten Down Below leider für die Tour ausfielen (Sänger Neo erkrankte an einer Kehlkopfentzündung), musste zügig Ersatz gesucht werden – diesen fand man dann auch mit der Berliner Combo Intrasonic, die zunächst auf die Bühne der Tube traten. Frontmann Tony Craig gründete die Band bereits 2004 in seinem Heimatland Australien – 201051015_Bochum_Joachim_Witt_Intrasonic_0130mittlerweile wohnen er und die Musiker hinter dem Namen in der deutschen Hauptstadt. Die Tatsache, dass der junge Herr kein Muttersprachler ist, wurde in den Ansagen der Band zwischen den Songs deutlich, die aber in doch sehr gutem Deutsch und dem einen oder anderen lustigen Fehlerchen ungemein sympathisch wirkten. Das Ende August erschienene, neue Album „Elision“ im Gepäck bezauberte das Quartett mit saftigem Industrial Rock, der einen Hauch Indie nicht vermissen ließ, vom Opener „Burning Bridges“ bis zum finalen „Shadow“ – da machte es auch keinen schlechten Eindruck, dass Craig die eigene Setlist etwas durcheinanderwarf. Trotzdem entfachten Intrasonics Songs keine Begeisterungswellen im Publikum – leider war unklar, wieso. Ob sich die Besucherschaft doch lieber die ursprüngliche Vorprogramm-Combo gewünscht hätte und die Jungs und die Dame hier einfach zu unbekannt waren (was man nicht mal sagen kann, angesichts der Tatsache, mit wem Intrasonic schon alles tourten)? Oder ging es manchen im Saal dann doch zu rockig zu? Gegen Ende des kurzen Auftakts trat Keyboarderin und Zweitstimme Kira Albers nach vorne und präsentierte „Awakening“ als Lead-Kehle. Bei der bombastischen Stimme stellte sich die Frage, warum Madame erst jetzt und vor allem nicht öfter im Vordergrund der Band stand – mit lila Scheinwerfern und einer Wahnsinns-Power echt umwerfend. Sonja Kraushofer kann stolz sein! Ein stimmiger Auftakt, der zunächst farblos startete, dann aber mit immer mehr Herz, Seele und Charisma gefüllt wurde und zu gefallen wusste, auch wenn dem Projekt mehr Duette und mehr Beteiligung der Dame am Keyboard stehen würden. Auf jeden Fall was für Fans von Trent Reznors Musik-Kapriolen und Trüppchen wie Zeromancer!

Es dauerte nicht lange, bis Joachim Witt nach einschmeichelndem Stimmungsaufbau-Intro auf die Bühne schritt und mit der neusten Single vom aktuellen Album „Ich“ das Set eröffnete, „Über das Meer“. Vielleicht kein reißerischer Einstand zum Konzertabend, dennoch ein ergreifender, der dem Altmeister in schickem Anzug sehr gerecht wurde. Wer nun aber annahm, auf der „Hände hoch!“-Tour würden in der Hauptsache Stücke vom neuen Album präsentiert, wurde sicherlich von der Best of-würdigen Setlist überrascht. Gleich als nächstes kamen „Hundert Leiber“ (der lt. Witt nur gespielt wird, weil sein Gitarrist und Jugendfreund Harry Gutowski das so wollte und sich für die Komposition verantwortlich zeichnet) und „Jetzt und ehedem“ (bei dem Witt im Nachhinein gestand, der beständig wiederholte Refrain würde ihm mitunter selbst viel zu lang vorkommen). Überhaupt ist es eigentlich für jemanden, der den Herrn nur über sein Song-Œuvre kennt, interessant zu sehen, was für eine Comedy-Show der Herr ab und an abziehen konnte: wenn er zum Beispiel berichtete, wie er kurz vor Showbeginn auf dem 201051015_Bochum_Joachim_Witt_Joachim_Witt_0027Matrix-Klo ausgerutscht war, dass er und die Band diverse „Spiele mit verbundenen Augen“ treiben würden, was aber wieder niemanden etwas anginge im Publikum, oder er auf die wiederholten Forderungen nach dem Klassiker „Goldener Reiter“ aus der Menge versicherte, dass er „die Nummer schon noch aus dem Arsch“ zöge. Weitere Highlights der Show waren definitiv der „POP“-Song „Zeit zu gehen“, der auf dieser Tour Live-Premiere feierte, die schönen und traurigen „Neumond“-Songs „Es regnet in mir“ und „Frühlingskind“, sowie die „DOM“-Songs „Jetzt geh‘“, „Mut eines Kriegers“ und „Gloria“. Letzterer konnte wohl durch den Chor und die erhaben-andächtige Stimmung im Saal richtige Gänsehaut hervorzurufen, auch wenn Witt für den Song dazumal heftige Kritik einstecken musste. Wann immer ruhigere Töne angeschlagen wurden, setzte der Mann sich auf einen eigens bereitgestellten Barhocker, und wenn es härter wurde, dann gab es auch schon mal Rockstarposen à la Handtuch zwischen den Beinen. Power hat der Herr definitiv auch heute noch! Klar, dass auch das berühmte „Die Flut“ nicht fehlen durfte, zu dem die Stimme Peter Heppners leiser als gewohnt aus dem Off eingeblendet wurde (hier meinte Witt noch ganz nonchalant, er wollte auch so schön singen, wie sein Kollege, aber dafür würden ihm leider die Eierstöcke fehlen). Auch ein paar seltener gehörte Witt-Stücke gab es auf die Ohren, und genau darin lag eigentlich der einzige Knackpunkt der Show: die Setlist ließ so manch einen Klassiker im Repertoire des Musikers aus, während ein paar seltsame Bonustracks der Alben einen Platz bekamen, die zu den etwas blasseren der ausgedehnten Diskographie Witts gehören – mit „Shut The Fuck Up“ oder „Olé (Klub)“ musste man tatsächlich von zwei Tiefpunkten sprechen, die aber den Rest der Performance nicht ankratzen. Als Encore gab es die obligatorischen Hits von einst aus den 80ern: „Goldener Reiter“ und „Tri tra trullala (Herbergsvater)“ rundeten den Matrix-Stopp der Tour mit einer Prise Nostalgie ab.

Fazit: Manch Jüngerem im Auditorium wird es vielleicht so wie mir gegangen sein, wenn man sich freute, eine solche Ikone endlich mal bei der Arbeit bezeugen zu dürfen. Ein gelungenes und emotionales Konzert, aufgelockert durch die verschrobene Witt-Couleur in manchen Songs und vor allem bei seiner humorvollen Art zwischendurch. Dabei einen geschmacklosen wie unangebrachten Witz über den mentalen Zustand des doch schon etwas älteren Herrn zu machen, würde der unter die Haut gehenden Gesamtheit des Auftritts nicht gerecht – und trotzdem muss man zwischen den wirklich ulkigen Schmunzelattacken, die der Maestro mit seinen Ansagen und Standup-Comedy-würdigen Blödeleien zwischendurch hervorruft, betonen, dass die eine oder andere Länge auftauchte und der Mann doch etwas zu klamaukig wurde. Wenn die Pausen zwischen den Songs kürzer ausfielen, könnte man die Setlist sicher ohne Probleme um ein bis zwei Lieder erweitern. Ob hier der ernste und schwermütige Ton der Songs manchmal in einen krassen Gegensatz zur Pausen-Frohnatur gestellt werden sollte, an ihm einfach ein Helge Schneider-esker Komiker verloren gegangen ist, oder er einfach ab und an den schmalen Grat zwischen Kongenial und Senil wandelt, weiß man nach einem Konzert von Joachim Witt Anno 2015 nicht so richtig einzugrenzen. Aber die großen Witt-Klassiker und eine ganze Reihe aktueller und neuerer Nummern sind einfach von einer blanken Ästhetik, die man nicht beschreiben kann. Auch das neuere Klangkleid wirklich alter Evergreens wusste zu gefallen – Eure Majestät macht nach wie vor alles richtig mit seinen Songs, die schon lange den Nerv der Zeit treffen und vor Gesellschaftskritik, Gefühl und Provokation nur so strotzen.