Helrunar-NiederkunfftIm Sujet des anspruchsvollen Black Metal ist kein Vorbeikommen an einer Kombo: Helrunar – das Aushängeschild der nordisch-mythologisch und –historisch geprägten Musik aus Deutschland. Wo es 2011 das letzte Album Sól gab, ein groß angelegt komponiertes und produziertes Weltuntergangs-Doppelalbum, wurde es im Anschluss stiller um das Duo. Marcel Dreckmann, alias Skald Draugir, und Sebastian „Alsvartr“ Körkemeier haben aber ihre Jünger mit ihrem ambitionierten Projekt nicht zu lange harren lassen, gab es 2013 ja eine Split-EP mit den Isländern von Árstíðir lífsins. Während diese auf „Fragments-A Mythological Excavation“ ihre überwiegend nordisch-pagane Ader auslebten, verarbeitete der historisch bewanderte Texter und eigentlich studierte Skandinavist dort eine Story der griechischen Mythologie: so schrieb er einen wahren Black Metal-Epos über den Zyklopen Polyphem aus Homers Odyssee. In einigen Postings aus dem Jahr 2014 zeichnete sich bereits auf Facebook ab, wohin die Reise jetzt mit dem neuen Material gehen würde: auf „Niederkunfft“, am 27.02. erschienen und befremdlich, dafür passend mit einem Doppel-F geschrieben, dreht sich alles um das finsterste Mittelalter. Skald Draugir kündete hierzu, thematisch beziehe sich das Album auf „Europa, an der Grenze vom Mittelalter zur Moderne, umgeben von Aberglauben und Furcht, im Würgegriff von Religion und auf dem Pfad der Erleuchtung.“ Und genau dieses Konzept beschwört eine unheilige, hoffnungslose Atmosphäre auf der neuen Platte herauf, die ihresgleichen wieder und wieder sucht, aber verflixt nochmal nirgends einen Vergleich.

Das Mittelalter wird mitunter sehr unterschiedlich in der Musik verarbeitet: nehmen wir nur mal die Bands auf diversen Mittelaltermärkten, welche die mediäval-feudale Zeit als unbeschwerlich und voll von Sauferei und Spaß verkaufen. Auf „Niederkunfft“ wird ein gänzlich entgegengesetztes Bild gezeichnet, das vermutlich wesentlich realistischer und betont beklemmender ist in Stimmung und Erzählung. Außerdem erstrahlt das neue Album der Münsteraner Kombo in einem ganzen anderen Federkleid als die vorherigen Opera, da der Sound weniger roh klang als hier. Wo früher die nackte Tobsucht die Songs bestimmte, setzt man nun auch vermehrt auf geringeres Tempo, was der Schwere einer jeden Textzeile zuträglich ist und diese fett unterstreicht. Genau so geschieht das auf dem ersten titelgebenden, in die Düsternis einleitenden Titel-Track „Niederkunfft“. Das Altdeutsch, das der Texter hier in den Vocals nutzt, zeigt, dass wir uns nicht nur inhaltlich in der Zeit zurückversetzt haben. Das wird schon deutlich an den Liedtiteln und an der teils falsch anmutenden Schreibweise, die die Songs authentisch und stimmungsvoll veredeln. Diese sind dann immer wieder untermalt von lateinischen Chorälen, was den eingangs angesprochenen Würgegriff der Kirche nur noch vergegenwärtigt – leider muss das lyrische Ich in dem Song aber auch erkennen, dass es ganz allein ist und es keine Hilfe vom Allmächtigen gibt. Beim zweiten Stück „Der Endkrist“, ungleich stürmischer und druckvoller in seiner niederwalzenden Art, wird die Geburt des uns besser als Antichrist bekannten Verführer proklamiert. Dicht gefolgt vom vorab in einem Lyric-Video veröffentlichten Song „Devils, Devils Everywhere“, welcher komplett in englischer Sprache gehalten ist – eine kleine Premiere für Helrunar. Hier wird die omnipräsente Angst vor dem Bösen und dem Zorn Gottes noch einmal aufs Ultimatum getrieben. Das Stück explodiert regelrecht in einer stringenten und konsequenten Rasanz, setzt dabei aber gleichsam auf einige begrüßenswerte Elemente aus dem Doom-Metal. Ebenso schlägt der Track „Magdeburg brennt“ sehr tief. Hier thematisiert Dreckmann den historischen Angriff der christlichen Truppen auf das protestantische Magdeburg während des Dreißigjährigen Krieges. Unter dem Kommando von Tilly der katholischen Liga wurden hier unzählige Frauen und Kinder mitsamt großer Stadtteile verbrannt und in Schutt und Asche gelegt. Die Rede ist auch vom berühmten Wallenstein, der seinerseits taktische und für den Krieg entscheidende Überlegungen den „Sternguckern“ überließ – hier wird auch die enge Verbindung von Astronomie und Astrologie im Mittelalter deutlich.

Wer in diesen Zeilen nun aber eine zu langwierige und fade Geschichtsstunde vermutet, kann unbesorgt sein: die heftigen Black Metal-Wellen weichen keiner Schullektion. Der durchweg gesprochene Part in „Grimmig Tod“ verleiht der „Niederkunfft“ nochmal eine tieftraurige Couleur, bevor mit dem starken „Die Kirch ist umbkehret“ noch einmal die Furcht des Volkes vor der gnadenlosen Konsequenz der Kirche beschrieben wird. Der geschichtsträchtige Ausflug endet mit dem weniger bekannten Weltuntergangspropheten Israel Hiebner und seiner „Hiebner Prophecy“. Dessen Sterndeutungen verwirrten das leichtgläubige Volk und schürten Ängste und Aberglaube. Der zwölfminütige Gigant steht am Ende der Platte und vermag es noch einmal exzellent, die Stimmung, die ohnehin schon das Album hindurch dominierte, auf ein noch höheres Level zu schieben.

Helrunar2Fazit: Helrunars Sound hat noch niemals derart nihilistisch geklungen, wie es auf „Niederkunfft“ der Fall ist. Und solch eine finstere wie apokalyptische Atmosphäre, wie sie hier durch die Musik kreiert wird, sieht und fühlt man selten. Dazu tritt des Frontmanns drohend-einmalige Stimme, die natürlich in perfekter Weise dazu beiträgt. In Gänze gewandelt hat sich das Klangbild Helrunars hingegen nicht, fußt stellenweise immer noch auf Elementen, die aus genannten Referenzwerken bekannt sind – wenn man auch zugeben muss, dass das Gefühl des bevorstehenden Weltenendes durch das „raw“-Antlitz in allen Songs noch intensiviert und somit überzeugender wird, als es noch bei dem dystopischen Zukunftsausblick „Sól“ war. Das mag auch am Anstrich einiger dröhnender Bass-Einlagen in netter Doom-Manier liegen, die dazu getreten sind, die dichten Soundwände zu unterstützen. Nicht zu verachten auch das blasphemisch-schöne Frontcover, auf dem Adam und Eva in ehrfürchtiger Flucht vor dem zürnenden Herrn zu sehen sind, neben ihnen ein Skelett. Hier darf nun interpretiert werden. In der limitierten Mediabook-Edition der CD befindet sich gar noch eine weitere als Bonus mit zwei zusätzlichen Stücken, welche zum Gesamtkomplex „Niederkunfft“ noch tiefgründiger beitragen und dem Werk schlussendlich die Krone aufsetzen. Zur Bestwertung fehlt für mich eigentlich bloß noch ein Song, welcher in Struktur und Aufbau noch mehr an das einzigartige, eröffnende „Kollapsar“ vom 2011er Album erinnert, mit den typischen High-Vocal-Scream-Einlagen und wesentlich schneller. Aber alles in allem muss man am Ende nur anerkennend mit dem Kopf nicken: Ideenreichtum, Qualität und wissenschaftlich-historische Kenntnisse zu vermengen und für die Präsentation als Sprachrohr Black Metal zu nutzen, das ist hier einfach nur atemberaubend und erschreckend gut gelungen, um eine in sich geschlossene und niederdrückende Gesamtleistung zu vollbringen. In „Der Endkrist“ wird die Frage aufgeworfen, ob Gott nicht auch in deutschem Lande wohne. Spätestens nach der „Niederkunfft“ wohl nicht mehr. Das Werk erschien am 27.02. via Prophecy Productions/Lupus Lounge.

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