Ein Wechselbad der Gefühle, ein musikalisches Auf und Ab und es tut ihnen nicht im Geringsten leid. Die Rede ist vom neuen Hell Boulevard Album mit dem Titel „Not Sorry“, das am 18.09.2020 erschienen ist. Die dritte CD der Goth’n’Roll-Truppe aus der Schweiz hat es in sich und besticht durch harte, aber auch sanfte Töne. „Not Sorry“ hält einige Überraschungen bereit und Töne, die so bisher eher selten bis gar nicht angeschlagen werden. Tatsächlich zeigen sich in den Songs teilweise ganz neue Facetten der Band, die einen beim ersten Hören etwas ungewöhnlich vorkommen.

Zwischen harten Gitarrenriffs und romantischen Sounds

Das Album beginnt mit dem brachialen „I should be dead by now“, das musikalisch und auch gesanglich etwas an Lord of the Lost erinnert, ohne nachgeahmt zu werden. Die Mischung aus harten Sounds aus Gitarren und elektronischen Klängen, versetzt einen in eine Endzeitwelt, die auch textlich unterstützt wird. Von zweiten (ungenutzten) Chancen, zerbrochenen Seelen und einem Leben am Rand der Existenz erzählt. Dicht gefolgt wird diese erste brachiale Erfahrung vom harten „In die Fresse“-Song „Not Sorry“, in dem Hell Boulevard sich ganz klar positionieren und aufzählen, wofür sie sich alles nicht entschuldigen werden. Ein klares Statement, verpackt im gewohnten Klanggewand, den die Band seit der Gründung an den Tag legt. Ein harter Bruch dazu ist das Piano-Intro von „Speak of the Devil“, das schnell wieder von härteren Sounds abgelöst wird. Während der Track mit seinen Goth’n’Roll-Tönen besticht, fällt „Ropes and Candies“ völlig aus dem Raster. Nach einem gesprochenen Intro mit seichter Hintergrundmusik, das zumindest musikalisch an einen alten Schnulzen-Film erinnert, geht der Track in eine Rockballade über, die es in sich hat. Verträumt, harte Riffs im Hintergrund und ein Text, der eher weniger mit Romantik im klassischen Sinne zu tun hat.

Von Industrial bis Pop

Hell Boulevard 2019 in der Matrix Bochum

Die neue CD beheimatet zahlreiche musikalische Exkursionen, die sich teilweise stark von den Hell Boulevard-Ursprüngen unterscheiden und sich teilweise ergänzen. „Death to the Future“ wird mit brachialen, elektronischen Sounds von Faderhead untermalt, sodass ein Gothic-Electro-Song die Trommelfelle zum Schwingen bringt. Eine kleine Verschnaufpause bietet das Intro von „Where is your god now“, das sich aus Pianotönen zu einem episch anmutenden Song-Ungetüm aufbaut. Man wird musikalisch in eine Klangwelt versetzt, die zwischen epischer Schlacht und dreckigem Rock’n’Roll liegt. Dass Hell Boulevard jedoch auch noch sanfter können, beweisen sie mit der Synth-Pop-Ballade „You had me at fuck off“. Ruhige, tiefe Stimme, untermalt von sanften, poppigen Tönen erzeugen tiefe Emotionen und auch der Text birgt ebenfalls eine greifbare Melancholie. Auch bei den folgenden „Queen Paranoia“, in dem wieder epische, orchestrale Klänge zum Einsatz kommen und „Hate me“ beweisen Hell Boulevard, dass sie mehr als nur Goth’n’Roll können. Das gesamte Album bringt wahnsinnig viel Abwechslung und bleibt sich irgendwie doch selber treu. Mit „Like Romeo and Juliet“ werden wieder seichtere Töne angeschlagen, die von „Lillies and Roses“ nochmal übertroffen werden. Streicher leiten den Song ein, Sänger vDiva beweist, dass er auch die melancholischste Ballade mit seiner tiefen, teils kratzigen Stimme gekonnt untermalen kann und der Hörer wird nahezu mit Wehmut zurückgelassen – Wäre da nicht noch „To hell and Beyond“, das mit harten, epischen Soundwelten einen wieder in die fast typische Hell Boulevard-Welt zurückholt.

Fazit

Hell Boulevard beweist mit „Not Sorry“, dass sie mehr können, als die ersten Songs vermuten ließen. Erinnerten ihre ersten Lieder stark an ältere Songs von Lord of the Lost oder ihren eigenen ehemaligen Projekten, zeigen sie nun eine klare Weiterentwicklung. Und vor allem stellen sie unter Beweis, dass Genre- und Schubladendenken Blödsinn ist und nicht funktioniert. Auch eine scheinbar klar positionierte Band wie Hell Boulevard kann sich anderen Genre-Elementen bedienen und ihre eigene Welt daraus schaffen. Und das ist wirklich nichts, wofür man sich entschuldigen muss. Für dieses Album auf keinen Fall, denn es lohnt sich wirklich. Für den einen oder anderen sind möglicherweise zu viele ruhige Songs dabei, doch die schnelle und vor allem zahlreiche Abwechslung von Stilelementen und Genres holt einen schnell wieder zurück aus der Melancholie oder einer Balladen-Lethargie. Es darf getanzt, geträumt, gerockt werden – und noch vieles mehr.

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