tp0004c_SP_DPGate_CoverSchon wieder höchst interessanter, frischer Wind im Kader von Sony Music: Grave Pleasures aus Finnland mogeln ihre wahnsinnszerfressene Doom Rock-Mucke unters Volk. Als Beastmilk schon von den Kritikern gefeiert änderte die Band Anfang 2015 ihren Bandnamen, nachdem man sich von Gitarrist Johan Snell, alias Goatspeed, trennte. Nach ihrem 2013er Erfolgshit „Climax“, welches einhellig als „Bindeglied zwischen Metalheads, Indie-Punks und Gothic-Grufties“ beschrieben wurde, erschien Anfang September das neue Werk „Dreamcrash“. Als kreatives Gehirn steht hinter der Band aus der Hauptstadt Helsinki kein Geringerer als der britische Mat McNerney, der unter dem Pseudonym Kvohst vor allem im Doom und Black Metal-Bereich eine musikalische Karriere vorweisen kann (u.a. aktiv bei Gangrenator, einstmals  & <code>). Ob sich die neue Platte lohnt, beleuchten wir im Folgenden.

Den Anfang macht „Utopian Scream“ – mit den Worten „I am an alien on my own planet“ eingeleitet, skandiert der Song passend und wie kein zweiter die aufkochende Wut und das Verlangen nach einem nicht mehr so zukunftslosen, hoffnungsvolleren Dereinst. Tanzbar, in den Instrumentalpassagen punk-rotzig und weithin von tapsigem Tempo – genau diese Drosselung passt aber wunderbar zur leichtfüßigen Atmosphäre. Trotzdem begleitet das kurze Intro ein geradezu deprimierender Pessimismus – eben doch nur ein Utopia, eine Wunschvorstellung, wenn man positiv an das Kommende denkt. Mit „New Hip Moon“, gleicherzeit als erste Single samt Video promotet worden, gibt es einen weiteren knapp 3-minütigen Smasher, der gleichsam mit seiner Gothic-Metaphorik als emotionaler Lovesong wie auch als Beschreibung eines Drogenrauschs fungiert, wenn man „I’m coming up on the drug of your glow“ hört. Generell muss man sagen, dass immer noch genug Beastmilk-Fingerfarbe in den Grabfreuden steckt, um von allen Fans des britischen Masterminds Kvohst gerecht zu werden, auch wenn die Mucke von Grave Pleasures stimmlich weit poppiger ausfällt. Überhaupt ist die Gesangsart lamentierend, teils sogar übersteuert aufgenommen, damit die „climbing insanity“, wie er sie beschreibt, eben fett unterstrichen wird.

Sonic Ritual-Gitarristin Linnéa Olsson aus Schweden (wow, mittlerweile wird die Band ja richtig zu einem internationalen Act?) macht dabei einen Wahnsinns-Job – schon geil, dass Kvohst genau diese Dame in sein Ensemble aufgenommen hat, der im Vorfeld betonte, die Musiker, die er um sich scharte, hätten ihn entweder live oder auf einer Platte ihrer Vorgänger-Bands überzeugt. Schön im Fokus steht ihr Beitrag sowie der von Drummer Uno Bruniusson in Songs wie „Crying Wolves“, dem bohrenden „Crooked Vein“ und dem weit schnelleren „Futureshock“. Zusammen mit dem kürzesten Stück der Platte, „Taste The Void“ (knapp zweieinhalb Minuten), demonstrieren die Songs die gesamte Bandbreite einer Gruppierung, von der sicherlich (und hoffentlich) noch lange zu hören sein wird. Kvohst Timbre-Bandbreite ist immens, das Arrangement und die Komposition der Songs variiert ohne Ende, folgt aber immer dem gleichen Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Rhythmus, über den man doch schon längst erhaben sein müsste. Da kann man der Band durchaus vorwerfen, ein wenig Massen-Fishing betreiben zu wollen, auch wegen der angesprochenen Pop-Liebelei, aber das wiegt nicht schwer angesichts der Songs, die einem die verbitterte Gedankenwelt (Kvohst scheint sehr Philosophie-verliebt zu sein, wenn man sich näher mit den Lyrics beschäftigt) geradewegs ins Gesicht schmieren. Ebenso stechen Songs wie „Lipstick On Your Tombstone“, welches in einem lichteren Kontext und mit ein paar höher gestimmten Gitarren richtig Glam-mäßig rüberkäme, oder das melancholisch-ruhige „Girl In A Vortex“ hervor. Fiebrig, rauschhaft und intensiv. Wow.

Grave Pleasures_BandFazit: Jack Kerouac sagte: “All human beings are also dream beings. Dreaming ties all mankind together.” Zynisch und wie ein Wink mit dem Zaunpfahl prangt auf dem Frontcover des Albums ein lädierter Flugrekorder – die Airline der Träume ist in den Bergen abgestürzt. Was als Beastmilk begann überzeugt auch als Grave Pleasures nach wie vor – ein schmerzerfüllter Angstschrei der Verdammten. Wo die Songs zwar einen träumerischen und fantasy-entlehnten Charakter aufweisen, skandiert der Albumtitel „Dreamcrash“ den bitteren, bodenständigen Gegensatz, der eben unter dem dünnen, ästhetischen Lack in einem tiefen Ozean prangt. Hier zerbrechen die Träume, hier kehren wir aus dem paradiesischen Traumland zurück an die Schären der Wirklichkeit. Klar konnte man im Vorfeld die fordernde und unter den Nägeln brennende Frage stellen, ob der Wechsel zu einem größeren Label auch eine unangenehme Veränderung des Sounds der Band mit sich bringen würde – ein näheres Hinhören aber lässt jegliche Sorge im Wind verfliegen. Ganz wunderbare Frische und eine zu empfehlende Odyssee bringt die Band hier mit ihrer neuen Platte mit, die stilistisch sicher allen Jüngern der Vorgänger-Combo sowie Fans von In Solitude (bei dem auch Drummer Bruniusson lange mitwirkte) oder Tribulation (die aber auch mehr Black- und Doom Metal-Nähe aufweisen) gefallen wird. Vergleichbare Bemühungen mit nostalgisch gerümpfter Nase etwas Retro in die Rock- und Metal-Lande zu befördern, gibt es da nur bei den Trüppchen, die die 60s und 70s reanimieren – was Grave Pleasures‘ und Kvohsts Anliegen anbetrifft, ein wenig 80er Punk in den Doom Rock beizumengen, ist bisher einzigartig. Ganz stark – „Dreamcrash“ wird sicher Erwähnung in den Top-Rock- & Metal-Alben des Jahres 2015 finden.

Interesse geweckt? „Dreamcrash“ gibt es seit dem 4. September und ist via Sony Music/Columbia erschienen. Die Platte gibt es sowohl auf CD als auch als Vinyl.

Wer will Kvohst und sein Gefolge live erleben? Hier seht ihr die aktuellen Deutschland-Tourtermine von Grave Pleasures:

23.09. Berlin, Lido

25.09. Köln, Luxor

27.09. München, Feierwerk

01.10. Frankfurt, Das Bett

02.10. Stuttgart, Im Wizemann