Maerzfeld-14Der lang vermisste Gigant der Neuen Deutschen Härte Eisbrecher kurst in diesen Tagen wieder durch die von Packeis überzogenen deutschen Lande und zieht seine gnadenlose Fahrtschneise durch die Republik, wie es kaum eine andere Band vermag. Am 23. Januar erschienen, ist ihr neues Album „Schock“ bereits jetzt ein Publikumserfolg ohnegleichen. Zur zugehörigen Tour ging der Koloss am Samstag, 14.03., in der Turbinenhalle Oberhausen vor Anker, um die neuen Stücke in einer mitreißenden Show zu präsentieren. Wie der Abend aussah, das erfahrt ihr hier.

Pünktlich um 20 Uhr trat zunächst nicht etwa als Erstes Maerzfeld als angekündigter Support auf die Bühne, sondern Alex Wesselsky und Gitarrist Jürgen Plangger von Eisbrecher selbst – wie ein TV-Moderator begrüßte Ersterer das Publikum (und zögerte dabei zunächst noch einmal, um welche Stadt es sich an diesem Tag handelte, Zitat: „Ihr seid… ähm… Oberhausen!“). Dabei postierte er sich mit einem kleinen Reclam-Heftchen in seinen Händen und ließ den Konzertabend mit einer kurzen, pathetisch und natürlich völlig überspielt vorgetragenen Passage aus Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ beginnen. Die Szene erweckte den Eindruck, vollkommen improvisiert zu sein, dementsprechend war sie auflockernd und extrem witzig.

Maerzfeld-6Gleich im Anschluss zu dieser kleinen Poetry Slam-Nummer betraten auch die unterstützenden Maerzfeld die Bühne, ihrerseits -Genre-passend- aus einer Rammstein-Cover-Band mit dem Namen Stahlzeit hervorgegangen. Seit dem 2012er Release von „Tief“ und dem größer werdenden Erfolg durch das letzte Werk „Fremdkörper“ von 2014 erreichte die Truppe aus München immer größeren Bekanntheitsgrad. Die selbstgeschriebenen Songs schwanken dabei leider manchmal zwischen Innovation und Imitation und kranken etwas am Lindemann-esken Wortspiel, das nicht so recht klappen will (vgl. das eröffnende „Vaterland“ oder der Selbstbeweihräucherungs-Song „Maerzfeld“). Dafür gibt es dann auch wieder Songs aus der Feder von Frontmann Heli Reißenweber, die gespickt sind mit umstürzlerisch-gemeiner Lyrik voller Metaphern, welche wohl auf den ersten Blick versteckt bleiben. Lieder wie das aus ihrem ersten Musikvideo bekannte „Hübschlerin“ oder das treibende „La petite mort“ wissen da live schon zu überzeugen. Musikalische Nähe zu der Berliner Band mit R ist in den industriellen Allüren natürlich gegeben, das mindert aber nicht den Spaß an den Songs. Auch zwei neue Stücke präsentierte die Kombo hier live, als Vorgeschmack auf das in diesem Jahr erscheinende, neue Album „Nackt“.

So gab es mit „Es bricht“ einen neuen, melodiösen Midtempo-Song zu hören, der von Kontrollverlust und auseinander brechender Partnerschaft erzählt. In den ersten Reihen verteilte man das Stück gar als Promo-CD während des Konzerts und wies darauf hin, dass für jeden Besucher eine solche später am Merch-Stand bereit liege. Als zweiten Sneak Peek lieferten die Jungs mit „Stalingrad“ noch eine gefühlvolle, aber nicht an Härte einbüßende Ballade zum Schluss. Deutlich war anzumerken, dass die Band keine unbekannte Kachel am Boden des Pools deutscher Musik ist – so waren viele Begeisterte im Publikum, wenn man auch in erster Linie für eine ganz andere Größe angereist war. Unter Beifall nochmal der Verweis aufs kommende Album (we got it, already), gab die Band schlussendlich die Bühne für den zügigen Umbau frei.

Eisbrecher-14Kurz nach 21 Uhr startete dann die Eisbrecher-Show – und nach dem brachialen Introitus vom Schock-Album, „Volle Kraft voraus“, begrüßte Sänger Wesselsky sein Auditorium diesmal ohne lange Rede mit einem flapsigen und treudoofen „Hallo“ in die Runde. Überhaupt sind Wesselskys sympathisch-humorgeladenen Ansagen das I-Tüpfelchen zum Sound-Bombast der abgehbaren Musik. Alex und seine selbstironisch-charmante Art muss man einfach lieben. Nach dem nicht minder aufwiegelnden, aggressionsvollen Song „So oder so“ gab es gar wieder einen Hinweis an die Jugend im Saal: so sehe der Mann am Mikro, die neue Eisbrecher-Fan-Generation sei „in Mache“, sei sich aber gleichermaßen nicht sicher, ob die Eltern ihren Spross nicht darüber anschwindelten, was die Band mit den Songs so meine. Ebenso süffisant, wie dann wieder ein Song wie „Antikörper“ thematisch als Song über „Hygiene für ihn“ eingeleitet wird, so cool und abgebrüht wirkt der „DMAX-Checker“ auch wieder. Und da wundert man sich auch nicht mehr darüber, wenn beispielsweise der Anarcho-Klassiker „Willkommen im Nichts“ vom Debütalbum als „neue Form des Sozialismus“ angepriesen wird. Aber auch ohne Comedy-Einlagen kommt man aus: so dankten Wesselsky und die Band an dieser Stelle mal ganz brav für das Prädikat „Ausverkauft!“ an diesem Abend. Chapeau, Eisbrecher – aber das war doch abzusehen bei den Tourterminen, von denen nur einer im szenetreuen Pott liegt.

Auf Disko-Blockbuster vom neuen Album wie das vorab veröffentlichte „1000 Narben“ oder der balladesk angestrichene, doch nicht minder kraftvolle Lovesong „Noch zu retten“ folgten aber auch einige Eisbrecher-Hits wie das morbide „Leider“ (laut Wesselsky im Jahre 333 v.Chr. komponiert, dafür noch immer aktuell), dasEisbrecher-8 Wunschdenken-Stück „Prototyp“ oder „Vergissmeinnicht“. So präsentierte sich eine Wahnsinns-Show mit wenig Schnickschnack, dafür viel Schabernack, wie eingangs erwähnt. Aber vergessen wir nicht die ‚geilen‘ neuen Songs, welche im Publikum frenetisch gefeiert wurden: „Rot wie die Liebe“, „Himmel, Arsch & Zwirn“ oder „Zwischen uns“, dessen Text in leuchtenden Lettern auf Bildschirmen im Hintergrund zum Mitsingen erschien, hier allerdings mit elektronischer Gegenstimme statt der aus der Studioversion bekannten Dame. Mitreißend, temporeich, mit atmosphärisch dichter Lichtshow und einzelnen Zusatzeinlagen wie den Tonnen, auf denen effektvoll Flüssigkeit geträufelt wurde, welche beim Drumming zum SM-Song „Schwarze Witwe“ einen optisch tollen Perl-Effekt verursachte. Nach „This Is Deutsch“, dem obligatorischen Klischee-Industrial-Reißer, dann wieder eine sehr ulkige Szene. Alexx konstatiert: „Ích blase euch den Dank.“ Mit NRW-Flagge und Rufhorn folgte dann ein dissonantes und kläglich verkümmertes Trompetensound -Solo, das im Vergleich mit der Horn-Einlage auf der MS-RheinEnergie jedoch sehr geübt klang.

Bei der ersten Zugabe „Eiszeit“ kleidete man sich in Winteranoraks und bewaffnete sich mit Eispickeln, was zu diesem Zeitpunkt doch sicher sehr, sehr warm auf der Bühne war. Arme Band! Daraufhin folgte noch der damalige Megaherz-Hit und Publikumsausraster „Miststück“, auf den viele im Saal lechzend gewartet zu haben schienen. Als Zusatzhinweis gab Chefdenker Alex seinen Fans zum Schluss noch mit auf den Weg, immer schön bekloppt zu bleiben, bevor nach weiteren Zugabe-Rufen ein seltsam-erfrischender, gediegener Rap-Part aus Clawfingers Song „Nigger“ folgte. Das kann Eisbrecher-11Wesselsky tatsächlich erstaunlich gut, aber das sollte ihm besser niemand auf die Nase binden – man will den experimentierfreudigen Kerl ja nicht auf falsche Gedanken bringen und am Ende mit Hiphop-Elementen auf dem nächsten Album dastehen. Und ich will verdammt sein: der Herr gab sogar eine kurze Passage des PokéRaps zum Besten – ja, Pix und er verkauften damals in eigenen Angaben ihre Seele für den deutschen Soundtrack zur japanischen Kinderserie. Weil das Publikum aber immer noch nicht genug von ihrer Dosis Eisbrecher bekommen hatte, folgte mit „Schlachtbank“ noch ein allerletzter, herausragender Rausschmeißer.

Noel Pix, Wesselsky und die anderen Musiker auf der Bühne machten auch an diesem Abend einen Klasse-Job. Man weiß sich zu präsentieren, so viel steht fest. Musikalisch solide in Präsentation und Routine ist ein Konzerterlebnis nicht bloß lohnenswert und ein garantiertes Festmahl für Augen und Ohren, wenn man auf die Songs der Jungs steht, sondern durch die sympathische und herrlich alberne Ader der Truppe mit genauso qualitativ hochwertigen, netten Lachern gespickt wie bei einem Nightwash-Besuch in größer. Vielleicht sollte sich Wesselsky mal als Standup-Comedian versuchen, das Zeug dazu hätte er allemal. Nach dem Konzert ging es dann wieder in den Tourkonvoi für die Band, deren Reise noch bis Ende März andauert. Eiskalt und aberwitzig zugleich – das funktioniert aber nur mit stilechter Härte in der Musik einer Kombo, die offensichtlich einfach nur ohne Ende Spaß an ihrem Schaffen hat, der mit großer Sicherheit auch an diesem Abend in der Turbinenhalle auf die Fans übergeschwappt ist. Geiler Scheiß!