Die „Könige der Spielleute“ Corvus Corax touren in diesen Tagen durch die Republik, um ihr nunmehr 25-jähriges Jubiläum zu feiern – am Freitag, 23.01.2015 hielt der Spielmannszug in der Matrix Bochum.
Die große Diskographie und Jahre voll Wein und Gesang sollten gebührend zelebriert werden. Daher durften die Fans auf der offiziellen Web-Präsenz den ganzen Sommer und Herbst über an einem Songvoting teilnehmen. Die meistgenannten Stücke jeder CD sollten dann – perfekt zugeschnitten auf die Fanwünsche also – in die Setlist aufgenommen werden. Denn sämtliches Songmaterial mit auf die Tour zu nehmen, das sprengte alle Rahmen. So lieferten Corvus Corax einen bunten und gelungenen Mix aus alten Klassikern und neuen Stücken. Im nicht weniger gemischten Publikum trafen sich Alt und Jung, die im Herzen aber alle Liebhaber der Musik von Corvus Corax sind. Das Songaufgebot wusste zu bestechen, denn wer die Mittelalterveteranen kennt und liebt, der weiß, dass die Band schweißtreibende und wilde Tanz-Abende bringt – und auch nach einem Vierteljahrhundert büßt die Truppe keinen Deut ihrer stringenten und Freude bringenden Spielart und ihres mitreißenden Spielflusses ein.
Ohne Vorband betraten die Jungs dann mit leichter Verspätung ihre für die Instrumentenaufbauten fast schon viel zu kleine Bühne (wer die Matrix kennt, weiß Bescheid) und heizten dem ebenso verwundernd kleinen Publikum zunächst ansagenlos, später mit viel Interaktion ein. Bitter nötig an diesem winterlichen und frostigen Tag, dessen Spuren und Mahnmale man schnell vergessen konnte in der Menge. Diese taute zügig auf und empfing die Musiker ebenso schnell wie warmherzig. Zum Auftakt gab es den „Saltatio Mortis A.D.“ als hymnische Einkehr am Abend, bevor mit dem neueren arabisch-verwurzelten „Urmawi“ ordentlich zur Bewegung animiert wurde. Überhaupt nahmen die Berliner diesen Abend ihre Hörerschaft mit auf einen Trip durch sämtliche Kulturkreise: mit den irisch angehauchten „Derdriu“ und „Fiach Dubh“ über Stücke aus den Carmina Burana bis hin zum germanischen „Beowulf Is Min Nama“.
Die Instrumentenvariation lässt bei Corvus Corax bekanntlich ebenso nicht nach: neben Wechseln vom Dudelsack zur Akustikgitarre oder von der Drehleier zu schier unendlich scheinenden Variationen von Flöten bliesen die Sieben kurz vor Ende der ersten Hälfte noch zum nordisch-mythologischen „Ragnarök“ mit gewaltigen Blashörnern wie denen von Heimdall höchstpersönlich. Deren Hall hielt in der lang gezogenen „Tube“ der Matrix Bochum noch lange nach und erschütterte Mark und Bein. Bei dieser Menge an klanglicher Vielfalt auf der Bühne darf dann auch mal eine Panne passieren – wenn beispielsweise Jordon kurzerhand zum „Leiersklaven“ degradiert wird und für PanPeter die Dreharbeit verrichten muss, während die Technik seiner Instrumente „gerettet“ wird, ohne dass viel Zeit verloren geht. Und man ist auch geneigt, einem Castus Rabensang es nicht übel zu nehmen, wenn auf seine Ansagen ganz andere Stücke folgen, wonach er sich gleich liebevoll als „fantasierenden Geisteskranken“ titulierte.
Nach einer viertelstündigen Pause – ob nun zum Atemholen für die Musiker oder als Rast für die tanzende Meute im Publikum, wer weiß – eröffneten Castus und sein Gefolge mit dem älteren „Mille Anni Passi Sunt“ die zweite Hälfte. Was bei einem mittelalterlichen Konzert, noch dazu von den Ikonen des Genres selbst, gewiss nicht fehlen darf, ist eine Trinker-Episode, eingeleitet vom beinahe liturgischen „Venus, Vina, Musica“. Zu dieser durften die Besucher einigen ausgeschenkten Kellen leckeren Mets frönen – durch einen langen Trinkschlauch den Fans in der ersten Reihe ausgegeben und begleitet vom „Trinkt vom Met, vom Bier und vom Wein – alles, ja, alles, das muss hinein“-Chor. Ebenso wenig verzichtete man natürlich auf die Anrufung des Weingotts höchst selbst – „Bacchus“ und das sorglose Sauflied „In Taberna Quando Sumus“ folgten. Als Zugabe schenkten die Spielleute den rasanten, asiatischen „Chou Chou Sheng“-Tanz und den Evergreen „Stella Splendens“, bevor die Band unter tosendem Beifall nach rund zwei Stunden die Bühne verließ. Am Merch-Stand waren Castus Rabensang, Venustus „Wim“ Oleriasticus, PanPeter, Jordon, Norri, aka Harmann der Drescher, Hatz, und Steve noch für das eine oder andere, schöne Gespräch zu haben. Schade, dass Corvus-Urgestein „Wim“, seit Anfangstagen dabei, angekündigt hatte, lediglich noch die Konzerte im Januar zu spielen und die Truppe zu verlassen – denn dieser Abend war wahrlich grandios.
Textgetreu verderben „Venus, Wein und Musik“ den gesunden Körper – aber bei einem wundervoll gestalteten Abend wie diesem gibt man gern seine Gesundheit her und stößt auf die erfolgsgeprägten 25 Jahre mit Corvus Corax an. Am Ende wirkt es fast befremdlich, sich vorzustellen, dass Castus Rabensang und der „Wim“ einst als Berliner Straßenmusikduo begonnen hatten – denn beim schweifenden Blick auf jeden einzelnen Musiker des Siebengespanns während eines jeden Songs muss man schlicht zum Schluss kommen, dass ein Konzert von Corvus Corax sowohl in Komposition als auch in Talent der Herrschaften eine einzigartige Erfahrung ist. Inbrunst, Spaß und jahrelange Routine im Umgang mit Instrumenten, die keineswegs Alltags-Charakter besitzen, schenkten hier der Matrix das Kleid einer Philharmonie, und werden es wohl auch jedem anderen Spielort der Konzertreise verleihen. Chapeau also vor der Show, dieser gehörigen Feier, begleitet von Geschichten aus alten Zeiten, fernen Orten und Gesang längst vergessener, alter Sprachen, denen durch Corvus Corax ein „abgehbares“ und rhythmisches Klangkleid verpasst wird, das das Herz eines jeden Fans höher schlagen lässt.