Coppelius-9Die klassisch angehauchten Symphoniker von Coppelius melden sich derzeit mit ihrer Tour zum neuen Album „Hertzmaschine“ zurück. Mit penibler und genauer Perfektion haben die Herrschaften aus Berlin kürzlich ihr neues Album zusammengeschustert, welches seit dem 30. Januar zu erwerben ist. Der anachronistische und liebevoll-verspielt selbstbetitelte „Kammer-Core“ begeistert Fans und Steampunk-Affine deutschlandweit. Die Konzertreisen zur Bewerbung ihres neuen Tonträgers führten natürlich auch nicht an der szenetreuen Bochumer Matrix vorbei, wo Coppelius am 12.03. dazu einluden, ihre alten wie neuen Stücke an einem Tanzabend aus dem 19. Jahrhundert zu zelebrieren. Hier könnt ihr nachlesen, was für eine gleichwohl schweißtreibende wie gediegene Note das Konzert trug.

Bodenski-2Im vergleichsweise spät bestätigten Vorprogramm supportete zunächst niemand Anderes als Michael „Bodenski“ Boden, seines Zeichens Texter, Gitarrist, Leiermann und zweite Stimme neben Eric Fish bei Subway to Sally, die Berliner. Mit seiner Akustikband unter dem Banner „Bodenski“ stimmte man ruhig und gefühlvoll in markanter und für den Autor typischer Lyrik auf das Kommende ein: dazu zwei Gitarren, Keyboard und Synthesizer, gelegentlich mit Shakern oder einem Akkordeon begleitet. Mit der Sehnsucht nach der Heimat bei „Nach Hause“ und melancholisch-getragenen Lovesongs wie „Meine Liebe“, abgelöst von textlich herausragenden Stücken wie „Dürre“ präsentierte sich das Side-Projekt des Herrn herzerwärmend und schön, wenn auch nicht so ganz mitreißend – das unterstrichen dann auch die ersten „Schunkler“ in den Frontreihen. Auch ließ es sich Bodenski nicht nehmen, mit „Versteckt“ ein STS-Stück zum Besten zu geben – mit dem Kommentar, er arbeite ja nebenberuflich noch „bei einer anderen Band“, und dürfte nun bei dieser Gelegenheit auch einmal eines deren Lieder selbst singen. Die gute halbe Stunde endete mit dem temporeicheren Abschieds-Song „Leb‘ wohl“, bevor sich der Sänger und seine Kollegin und die Kollegen vor ihrem Publikum verneigten und sich bei dem befreundeten Hauptact heute Abend bedankten. Nicht zu vergessen: an der Bühnenseite wachte auch ständig Tillmann, der Bodenski-Bär, über das Geschehen. Vornehmlich herrschte aber wenig Begeisterung für die Vorband, nicht weil die Musik langweilig oder unpassend gewesen wäre, sondern eher weil die Stücke sehr unbekannt und für einen prä-coppelianischen Act zu gemächlich waren.

Coppelius-4Die Tube füllte sich mehr und mehr nach kurzer Pause, und als der hauseigene Band-Diener Bastille sich pünktlich um 21 Uhr unscheinbar und vorsichtig ins Zentrum der doch sehr kleinen Matrix-Stage schlich, seine Öllampe hochhielt und wortlos ins Publikum gaffte, untermalt vom „suspiciously catchy“ Tschaikowski-„Tanz der Zuckerfee“, betraten auch die anderen Coppelianer das Parkett. Das Konzert wurde zügig begonnen mit „Der Luftschiffharpunist“. Die Inselbegeisterung, die noch zu Bodenski vorherrschte, war nun fort und das gesamte Publikum war nun außer Rand und Band. Fans von Coppelius sind ohnehin eine Klasse für sich: wenn die Aufmachung der Bühne, die Kleidung und Instrumente der Band nicht schon ihr Übriges täten, ließen die originellen Steampunk-Outfits und aufwendigen Kostüme, mit denen manche im Saal erschienen, nicht nur eine 19. Jahrhunderts-Atmosphäre aufkommen, sondern versetzten auch mal direkt in die literarischen Werke Jules Vernes und E.T.A. Hoffmanns. Letzterer wurde immer wieder als Inspiration für einige Coppelius-Stücke genannt, so auch zum Beispiel beim zweiten Stück, dem bedrohlich-rasanten „Klein Zaches“, das dem 2010er Werk „Zinnober“ Pate und Muse war.

Coppelius-23Immer wieder schön ist auch die Publikumsinteraktion der musizierenden Herrschaften – wenn zum Beispiel Comte Caspar mit der Klarinette eine Mengenbegehung veranstaltet und von dort und unter gestrengen Blicken in die Gesichter einiger Besucher weiterspielt. Dabei durften sich dann auch einige Damen unter seinem langen Instrument (verzeiht diese Formulierung) in Limbo-Manier herbeugen. Zwischendurch wurde auch ein Fan auf die Bühne geholt, um den schwierigen Part des Triangelspiels im Takt zu übernehmen. Nach dem Mitsing-Stück „Time-Zeit“ (wo mir mitunter das Publikum lauter als die Band selbst vorkam), spielte man ein kurzes Interludium, zu dem der Diener Bastille nach vorn trat und für einige Damen und Herren der ersten Reihe (Zitat: „Da das Konzertgeschehen ja ohnehin gerade pausiert“) ein paar Gläser Sekt ausschenkte – das meiste davon landete allerdings eher im eigenen Rachen. Hach, was wäre ein Coppelius-Konzert ohne diese kleinen, amüsanten Einlagen? Das gehobene „Applaus“-Schild, als wäre man in einem Stummfilm und müsste so darauf hinweisen, wann man jubilieren sollte – oder aber das Hinweis-Schild „Solo“, damit auch dem letzten Gast klar ist, wann nun ein Solo stattfindet und wann nicht.

Lakai Bastille führte in seiner herrlich-gehobenen und gleichsam kaputt-verstörten Art in hohem Register durch das Konzert und sammelte derweil immer wieder Mäntel, Halstücher und herabgefallene oder –geworfene Hüte ein, stellte umgestürzte Mikrophonständer wieder auf oder versorgte seine Mitgesellen mit einem Schluck Wasser. Seinen Job als Diener zog der gute Herr jedenfalls konsequent durch – das merkte man vor allem dann, wenn er sogar während des Konzerts die Instrumente seiner Kollegen abstaubte, was durchaus skurril und urkomisch wirkte.

Coppelius-12Ein Auf und Ab in der Musikauswahl erzielte ihren abwechslungsreichen und gestalterisch cleveren Effekt: wo das Publikum erst mit dem neuen Song „Moor“ vom aktuellen Album aufgestachelt wurde, bremste man es direkt mit der gefühlvollen und poetischen Ballade „Es fiel ein Himmelstaue“ wieder aus. Die morbid-romantischen Stücke „Schöne Augen“ und „Mitten ins Herz“ taten dann wieder ihr Übriges und regten zur Begeisterung an. Nach gespielter Setlist ging es aber leider auch auf ein Ende zu: auf einem Coppelius-Konzert fordert man allerdings keinen Bonus in Form von innovationslosen „Zugabe“-Rufen – nein, hier schreit man „Da Capo!“.

Als ersten Zusatz kehrten die Musiker in nahezu völliger Dunkelheit wieder auf die Bühne, bevor mit dem fast schon meditativen Trance-Kurzstück „Contenance“ noch einmal eröffnet wurde, bei dem unter bedeutsam-geiferndem „Ommm“-Sound zu allem Anderen als zur Contenance aufgerufen wurde, sondern eher zum „Kurz-und-klein“-Hauen in einem Wutanfall, bevor man dann mit dem folgenden Iron Maiden-Song „Killers“ in Coppelius-Habit vollends abrocken durfte. Mit den obligatorischen Band-Klassikern „Risiko“ und bei einer zweiten Zugabe noch das großartige „Habgier“ (wo der Diener einfach Nobusamas Schlagzeug auseinander baute und einer jüngeren Konzertbesucherin ein Becken samt Halterung zum Taktschlage hinhielt) bat man die Menge noch ein letztes Mal zum Tanz, bevor Bastille noch ein letztes Mal ohne Instrumentenbegleitung einen Mehrzeiler aufsagte, den er mit den Worten „Was nun folgt, ist Kunst!“ ankündigte – das quittierte man aus dem Publikum mit einem lauten „Jetzt erst?“ Am Ende natürlich der Dank an Technik, Vorprogramm und Matrix, und schlussendlich noch der „Coppelius hilft!“-Ruf.

Coppelius-10Man muss einfach sagen, dass man selten das Gefühl bekommt, sympathischere und vor allem lustigere Herrschaften beim Musizieren beobachten zu dürfen, als hier mit Coppelius. Ihre Auftritte leben vom variablen Hin und Her, welcher der Herren nun als Sänger im Fokus steht – mal sind es die drei Herren in Front, Comte Caspar, Max Coppella oder der Diener selbst, mal erhebt gar Cellist Graf Lindorf auch seine Stimme. Das fördert nicht nur Dynamik auf der Bühne, sondern zeugt von großartigem Können und Talent der Band. Während der Veranstaltung ließ man es sich auch nicht nehmen, Werbung für die eigens komponierte und ins Leben gerufene Steampunkoper im Herbst zu machen, welche am 14.11. Premiere feiert. Nach dem Konzert ging es dann wieder „zurück in die Zukunft“, ins 21. Jahrhundert, welches nach solch einem Erlebnis wie an diesem Abend in der Matrix Bochum dann doch wieder trotz technischen Fortschritts sehr fad anmuten mag. Fans und Band hatten einen Heidenspaß und es wurde wieder mal klar: klassische Musik muss nicht nur in einer Philharmonie Platz finden, sondern kann auch ordentlich knallen.