Callejon - 2014 - Wir Sind AngstGerade ist die besinnliche Weihnachtszeit vorüber, da überfällt auch schon ein altbekannter Endoparasit die Musiklandschaft hierzulande. Callejon sind wieder da. Nach ihrem 2013er Party-Cover-Album „Man Spricht Deutsch“ wartet die deutsche Metalcore-Kombo aus NRW nach fast zwei durchgehungerten Jahren wieder mit eigenen Songs für ihre Hörerschaft auf. Seit über zehn Jahren Bandgeschichte ist man sämtlichen Zweifeln und Trends erhaben und hat mehrfach schon die Top 10 der Charts erklommen. Stilistische Stagnation steht bei den Mannen allerdings ganz außer Frage. „Wir Sind Angst“ heißt die neue Scheibe und hält der Welt gehörig den Spiegel vor. Das neue Opus erscheint am 9. Januar.

Nach dem kurzen „Trauma“-Intro wird bereits im eröffnenden, titelschenkenden Tornado-Song deutlich, worauf man sich mit dem Erwerb der pendelschwingenden Platte eingelassen hat. Hier reiht sich Killer an Killer: nachdem gefühlte hundert Male der Albumtitel skandiert und untermauert wurde, dass alle News der Tagesthemen des vergangenen Jahres einen komatösen Zustand bei den Rheinländern hervorgerufen zu haben scheinen, legt der Sturm erst richtig los. Die erste Single-Auskopplung „Dunkelherz“ samt Musikvideo war Fans und Interessenten bereits in der Vorweihnachtszeit geboten und schon als typischer Callejon-Song gebrandmarkt worden. Depri-Song trotz Abgeh-Parts, Emo-Gehabe, Clean-Gesang in Refrain, gepaart mit Screaming in den Strophen. Wenn auch textgemäß „Schaufelbagger, groß wie Planeten, die Seele abtragen“, schafft es Sänger Bastian „BastiBasti“ Sobtzick auf „Wir Sind Angst“ nirgendwo in platte Melancholie abzudriften. Stattdessen behält er textlich und musikalisch Contenance, was diese Menschkritik anbetrifft. Auch wenn der Beinahe-Country-Metal-Song „Krankheit Mensch“ oder das mitunter Thrash-Metal-gescheckte „Ich lehne leidenschaftlich ab“ schon ob ihrer Titel eine Absage an Konsumgesellschaft oder Ausbeute des ganzen Globus versprechen und auch liefern. Das alles kommt auf solidem textlichen Niveau daher und wirkt keineswegs „ins Gesicht geschmiert“, anbiedernd oder kontur- und einfallslos. Mitgröl-Refrains par excellence finden sich vor allem beim hymnischen Auferstehungssong „Neonblut“ und beim geflügelten Caesar-Zitat „Veni, Vidi, Vici“, bei dem neben eingestreuter Selbstbeweihräucherung („Die glorreichen Fünf von Callejon“) auch mal eben ein Metapherfeuerwerk der Chuck Norris-Witz-Generation losgelassen wird. So versammelt man mal eben die ganze Jugend hinter sich, wenn man gegen das System ankotzt.

Callejon_Promofoto2b„Raketen“ schafft es dann wieder, aufbauender und hoffnungsvoller zu wirken. Rasanz obersten Geschwindigkeitslevels trifft auf eine ähnliche Botschaft wie schon der Öko-Song „Deine Schuld“ von den Ärzten, an den man sich unweigerlich erinnert fühlt, wenn man Passagen wie „Unsere Kinder können nichts dafür, dass die Welt ist, wie sie ist“ lauscht. Wie auf ebensolchen Geschossen fühlt man sich das ganze Werk hindurch, bis die obligatorische, doch keineswegs qualitativ enttäuschende Ballade „Erst, wenn Disneyland brennt“ am Ende erklingt. Nicht falsch verstehen: „Wir Sind Angst“ bewegt sich stets auf schmalem Grat zwischen anschmiegsamer Harmonie und brutalem Drum- und Gitarren-Aufwind. Was am Ende im Kopfe hängen bleibt von all den Botschaften des Machwerks ist ein „Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt“.

Fazit: 2015 beginnt aggressiv und hochwertig. Letztes Jahr waren wir noch Weltmeister, nun sind wir also Angst. Und wer sich das Album Stück für Stück anhört und sich mit der urtypischen Screamo-Kehle von Sobtzick anfreunden kann, der wird mir beipflichten, wenn man als Hörer sagt, dass man das gerne ist. Dynamisch überzeugen Callejon schon lange und auch bei den neuen Stücken unterstreichen sie, dass die Virtuosen mit diversen Auswüchsen der Metal- und Hardcore-Sparten spielen und jonglieren können. Hier ist nichts steril und tönern, hier ist Seele und Kraft hinter der Musik. Der Ton und die Atmosphäre sind durchweg finster gehalten. Die Welt ist gehörig ‚am Arsch‘, das schwingt in jedem Song mit. Derbe Lyrik zwischen Fantasy, Schwarzromantik und „Auf die Schnauze“-Attitüde, wie man sie gut und gerne im Gangster-Rap geboten bekommt. Und das, trotz der Tatsache, dass wir hier kein „Porn From Spain Nummer 3“ geliefert bekommen. Das hier ist allerdings reine Wut von Callejon selbst. Tiefe Frustration über die Deszendenz der Menschheit trifft auf „Mittelfinger hoch“-Aufruf. Selbst das Artwork, gewissenhaft und selbst designt vom Kopf „BastiBasti“, kann schon vollends überzeugen. Die Herren halten dem Abstieg in Gewalt, Arroganz und Stumpfsinn unentwegt entgegen, und so heißt es schon im Kracher „1000 PS“: „Fickt dich dein Leben, dann fick es zurück.“ Und wenn die trotz vulgärer Ausdrucksweise erwachsen gewordenen Callejons dazu animieren, dann tun wir das auch mit Freuden. Wer nicht mitmacht, wird halt niedergetrampelt. Punkt. „Wir Sind Angst“ erscheint als reguläre und limitierte CD im Digipak, bei Amazon gar als Fanbox und natürlich auch auf Vinyl – erhältlich ab dem 09.01.  bei Four Music.