Irritierte Blicken warfen am 29. und 30. Juli die am Rhein entlang Spazierenden und Joggenden am Wochenende in Richtung Tanzbrunnen. Ein Strand überschwemmt von schwarzgewandeten Gestalten, (in ihren Ohren wahrscheinlich) seltsam anmutende Klänge vom Gelände  – was war da nur los? Doch was für diese Menschen irritierend war, erfreute die schwarzgewandeten Gestalten, umso mehr: es war Amphi Festival! Ein Wochenende voller guter Musik, netter Menschen und toller Atmosphäre. Das Line-Up zeigte sich mal wieder hochkarätig, gekrönt von den sechs Headlinern für die zwei Tage auf den drei Bühnen: Diorama und L’ame Immortelle auf der Orbit Stage, Welle:Erdball und Actors im Theater, Deine Lakaien und OMD auf der Main Stage.

Als wäre die Vorfreude auf das Amphi nicht eh schon groß genug gewesen, kam kurz vorher die gute Nachricht: der Pegel des Rheins war etwas gestiegen, die Prognosen waren gut – das Schiff konnte an seinen Platz am Tanzbrunnen liegen. Demnach war die Orbit Stage auch sehr gut besucht. Gerade bei den Headlinern hatte dies aber auch einen Nachteil, da aufgrund des limitierten Platzes auf dem Schiff nicht alle Menschen ihre Lieblingsbands sehen konnten. So hörte man, wie viele Amphi-Besucher lange für die Headliner anstanden, dann aber aufgrund dieser begrenzten Kapazität nicht mehr auf das Schiff kamen. Das ist äußerst schade, aus Sicht der Sicherheit (und des persönlichen Gefühls, weil gequetscht wie in einer Sardinen-Büchse will man da ja auch nicht rumstehen) aber völlig verständlich. Die Stimmen werden aber immer lauter, dass für die Orbit Stage eine Alternative gesucht werden sollte. Was natürlich schade wäre, denn die Atmosphäre auf der MS RheinEnergie ist fantastisch.

Gut für die Umwelt und den Rhein, semigut für die Festivalbesucher:  Tendenz für Regen. Das Wetter beim Amphi Festival 2023 war – gelinde gesagt – wechselhaft. Vor allem am Samstag: Entweder in der Sonne etwas zu warm oder im Regen etwas zu unangenehm. Am Sonntag gesellte sich eine lokal stark auf den Strandbereich begrenzte Sturmfront hinzu (Amphi-Crew und Fotografen mussten gemeinsam das Zelt der Bar im VIP-Bereich abbauen, bevor es wegfliegen konnte), von der auf dem Gelände so gar nichts zu merken war. Das alles änderte nichts an diesem einen, vielleicht schon erwähnten Fakt: gute Musik.

Tag 1

Der erste Tag des Festivals startete elektronisch auf der Main Stage mit Synthattack nach einer kleinen Startschwierigkeit, da offenbar die Technik noch nicht ganz wach war. Da konnte man sich schon mal aufwärmen für den Tag, was diverse Besucher auch wahrnahmen. Was gut begann, steigerte sich im Laufe des Tages auf der Hauptbühne immer weiter, über A Life Divided zu Wesselsky, weiter zu S.P.O.C.K. und dem recht krassen Kontrast dazu mit Das Ich. Die für eine kurze Irritation sorgten. Denn was einige noch für einen intensiven Soundcheck hielten, entpuppte sich als das tatsächliche Konzert, das einfach mal 10 min zu früh anfing. Schade für diejenigen, die dadurch ein Teil des Auftritts verpasst haben. Zu Convenant und Front 242 konnte dann nochmal ordentlich getanzt werden, bevor der Abend mit dem meisterhaften Gesang von Alexander Veljanov bei Deine Lakaien ausklang.

Währenddessen sah man im Theater – fast nichts, dafür hörte man umso mehr. Xotox, Vanguard und vor allem Future Lied to Us warteten mit starker Dunkelheit gefolgt von intensivem Strobo auf. Und wer muss die Musiker auch schon sehen, wenn man zu treibenden Beats tanzen kann? Bei Centhron, Calva Y Nada und Zeraphine wurde die Sicht auf die Bühne etwas besser. Beim Headliner Welle:Erdball zeigte sich dann, dass auch das Theater über die eine und andere Lichtbirne verfügt.

Lichttechnisch sah es auf der Orbit Stage wohl besser aus. Getanzt wurde genausoviel wie vor den anderen Bühnen. Dazu regten zumindest Rabengott, Whispers in the Shadow, Selofan, Clan of Xymox und Lebanon Hanover an. Und natürlich sie, die Headliner: Diorama.

Tag 2

Auf der Hauptbühne ging es am zweiten Tag mit etwas mehr Menschen und Instrumenten auf der Bühne los, als an Tag 1: Schöngeist eröffneten den Sonntag und lockten einige verkaterte Gesichter auf die Fläche. Bei Wiegand wurde dann schon wieder kräftiger getanzt, bevor es zu QNTAL etwas ruhiger wurde. Allerdings definitiv nicht im langweiligen Sinne, dafür sorgte die Präsenz von Sigrid „Syrah“ Hausen, die nicht nur mit ihrem Gesang das Publikum in den Bann zog, sondern auch mit ihren Ansagen zwischen den Songs und den kleinen Einblicken darin, wie schwierig das Erlernen eines Songs in „druidisch“ sein kann. Anschließend sah das Publikum rot. Also auf der Bühne. Und nein, nicht Das Ich war zurück: rot waren nur die Hemden der Jungs von Solitary Experiments, die die Meute nun erneut anheizte, bevor es bei der Unzucht gefühlt nochmal etwas lauter wurde. Sänger Der Schulz nahm dann sogleich auch ein erfrischendes Bad in der Menge.
Und dann wurde die Frage beantwortet, die einigen auf der Seele brannte: Was haben Combichrist wohl an? Ihnen war gerüchteweise das Gepäck abhanden gekommen. Sie hatten aber irgendwo noch Klamotten gefunden (erste Tipps, sie könnten im Bademantel kommen, bewahrheiteten sich also nicht) und eigentlich ist auch vollkommen egal, was sie anhaben: Andy LaPlegua zieht eh alle mit. Den Bademantel hätten sich einige aber eventuell bei der nächsten Band gewünscht. Es ist ja bekannt, dass Lord of the Lost verschiedenste Outfit tragen, sich nicht um Konventionen scheren. Gared Dirge hat es diesmal aber ein bisschen sehr auf die Spitze getrieben. Nein, er kam nicht nackt, aber fast, nämlich im „Borat“-Kostüm. Wem das nicht gefiel, der konnte ja wegschauen. Zum Beispiel auf Chris Harms, der eine gewohnt grandiose Show ablieferte, wie auch die anderen Jungs. Doch dann kamen sie. Man könnte sie als Altmeister des Synthiepop und New Wave bezeichnen. Denn es gibt sie schon eine recht lange Weile. Seit den 1980er, um genau zu sein (die kleine, nicht mal zehnjährige Pause zwischendurch kann man ignorieren). Und OMD zeigte den jüngeren Musikern, wo der Hase langläuft. Wie man eine Show macht. Wie man das Publikum mitreißt. Wie man ein so hochkarätiges Festival Line-Up würdig abschließt.

Im Theater zeigte sich währenddessen: Licht. Damit kam der Zuschauer in den vollen Genuss der jungen Wilden von Blitz Union, die auch tatsächlich einschlugen wie ein Blitz und ordentlich Spaß machten. Das ging dann auch weiter mit Traitrs, Scarlet Dorn und Whispering Sons. Coppelius schienen musikalisch im Theater etwas aus der Reihe zu tanzen. Die große Zuschauermenge im Theater bewies aber, dass sie zurecht dort waren. Und die Herren nahmen ihre Rolle als Exoten durchaus ernst, in dem sie einfach mal nicht nur die Bühne von der ersten Sekunde einnahmen wie das selbstverständlichste auf der Welt, sondern auch den Bereich davor, und hier und dort und irgendwie waren sie einfach überall auf einmal. Und doch lag ein klein wenig Ordnung in diesem Chaos. Mit KITE kehrten dann aber schnell wieder normale Lichtverhältnisse (also wenig) und die klassischeren Klänge (also elektronisch) im Theater ein, bevor Actors das Festival auf der zweiten Bühne abschlossen (die ein recht schweres Los damit gezogen hatten, parallel zu OMD zu spielen).

Somit ging ein großartiges Amphi Festival 2023 zu Ende. Es gab Höhen und Tiefen – sowohl auf den Bühnen als auch oben am Himmel, die Bands konnten sich sehen lassen und die Besucher nahmen nur vergleichsweise wenig Patzer wahr. Dickes Plus für das diesjährige Amphi war auf jeden Fall, dass der Rheinpegel wieder angestiegen war und somit die lange Fahrt mit dem Shuttle Bus zur Orbit Stage entfiel. Das machte es einigen leichter, sich für eine Bühne zu entscheiden – kam man doch schnell wieder zurück. Einen Ausblick auf das nächste Jahr haben die Veranstalter auch gleich gegeben. Das verspricht spannend zu werden, wenn es am 27. und 28. Juli 2024 wieder heißt: Alles wird Amphi!