Am Wochenende des 14. bis 16. Oktober stieg in der niedersächsischen Rattenfängerstadt Hameln ein ganz besonderes Event der Schwarzen Szene: Das Autumn Moon Festival, welches zum zweiten Mal in dem Ort an der Oberweser abgehalten wurde. Die große Rattenfängerhalle am Flussufer wurde kurzerhand von einer einfachen Sporthalle und Galasaal zur Konzerthalle umfunktioniert – und daneben gab es noch weitere kleine, aber feine Locations, an denen sich das ganze Wochenende über immerhin fast 50 Künstler unterschiedlicher Genres der weiten Felder Gothic, Metal und Mittelalter präsentierten, welche die Stadt drei Tage lang in schönes Schwarz tünchten. Ein Event, das viele Szene-Gänger noch gar nicht so auf dem Schirm haben zu scheinen: Wir betreiben Abhilfe mit unserem Bericht von Tag 1.
Obwohl das Programm nicht ganz koscher gegen 14 Uhr von einer Hausnummer wie Xandria eröffnet wurde, fanden sich relativ kurz vor Beginn erst die großen Besuchermassen vor den Pforten der Halle ein, wo die Bändchenausgabe stattfand. Die Schlange der Anstehenden zog sich durch die Unterführung der großen Kreuzung direkt vor der Location bis fast zur anderen Straßenseite – genau jene Untertunnelung nutzten ein paar Künstler auch, um Bilder auszustellen oder gar dort akustisch zu musizieren. Die Running Order füllte sich selbstredend in den letzten Monaten mehr und mehr, aber da der komplette Timetable in seinem 100%igen Finalzustand im Prinzip erst vor Ort in Form des ausführlichen, ansehnlichen Programmhefts ausgegeben wurde, hatten nicht wenige noch vermutet, Christopher Paul Stelling hätte sich dort einfach so positioniert, ohne dass er etwas mit dem Programm des AM Festivals zu tun hätte. So geschah es, dass bei Xandria noch bei weitem nicht alle Festivalgänger in der Halle waren, die die Symphonic Gothic Metal-Band gerne gesehen hätten. Schade: Ein gelungener Auftakt mit Härtefaktor!
Die Halle der Main Stage an sich musste man schon bewundern, wenn man den Saal betrat: Herrliche Halloween-Deko mit kahlen Bäumen rechts und links der Bühne, die wunderschön gestaltete Cocktailbar in ihrem rustikalen Look mit künstlichen Spinnweben und mitten im Saal die gewaltige Piratenschiff-Bar, auf dessen Aufbaute clever die Technik der Bühne untergebracht war. Auch beim Schlendern über den Mystic Halloween Market durfte man als Besucher entzückt sein, trotz der Tatsache, dass es die Thermometer etwas kältere Grade zeigten: Hochwertige und ansprechend schöne Händlerstände, typisch-reichhaltiges Angebot in Sachen Gastronomie über Fleischsspieße, Hanffladen, Flammkuchen und veganes Angebot bis hin zu Crêpe-Stand, Currywurst und für den süßen Zahn allerlei gebrannte Mandeln und Gebäck. Besondere Erwähnung: Gisis Kuhmilch- und Kakao-Kaschemme und die sympathische Thekendame Fuchs, deren Witze-Stakkato die kalten Weser-Winde vergessen ließ. Mit irrsinnig leckeren Kreationen aus Kaffee, Kakao und Alkoholika bei den kalten Temperaturen erste Anlaufstelle! Leider durfte man schon früh feststellen, dass sich der Besuch der ersten Nebenbühne, und zwar des Schiffes, am Ufer nur bedingt lohnte, wenn man großen Wuchses ist oder bereits überpünktlich das Schiff betrat, denn so schön die Idee beim Amphi war und ist, eine Stage komplett auf Deck eines Bootes zu haben, so schwierig realisierbar wird das Ganze dann, wenn dieses immer kleiner wird. So blieben leider schon am ersten Tag die Auftritte von Florian Grey, der schwedischen Folk-Sängerin Magda Andersson (auch bei den Partymachern Ye Banished Privateers im Ensemble, später mehr), sowie Nihiling und NRT quasi unbesuchbar, was für die Künstler umso ärgerlicher wurde – für die wenigen „Auserwählten“ unter den Besuchern, die dabei sein konnten, hingegen ein schönes Erlebnis.
Leider krankte auch die atmosphärische Kneipe Papa Hemingway, auf dessen erstem Stock sich ebenfalls eine Nebenbühne befand, genau an diesem Problem: Zunächst einmal sorgten die geschlossenen und verdunkelten Fenster im Obergeschoss dafür, dass es schnell sehr stickig und extrem heiß wurde, zum Anderen war die Bühne leider viel zu klein, sodass nicht wenige Beschwerden bei den Veranstaltern eingegangen sein dürften, die vornehmlich wohl damit zu tun hatten, dass gerade Ingrimm, die Excrementory Grindfuckers als Ersatz für Drescher, die (lieber) mit J.B.O. touren (sei ihnen verziehen), und am zweiten Tag gar die durch die Touren mit ASP bekannt gewordenen Spielbann und die Electro-Größe NamNamBulu auf die Mini-Stage -„verbannt“, möchte man fast sagen- gelegt wurden. Fatal!
Als perfekte 2nd Stage stellte sich hingegen der Saal der Sumpfblume wenige Minuten Luftlinie von der Rattenfängerhalle am anderen Ende des Mittelaltermarkts heraus: Mit The Invincible Spirit, Visions of Atlantis und TÜSN startete der Tag hier, und vor allem Letztere konnten viele Besucher mit ihrem unkonventionellen, emotionalen und lyrisch anspruchsvollen Gothpop überzeugen. Vom neuen Song „In Schwarzen Gedanken“ über die Hits des Debütalbums „Schuld“, welches im Februar diesen Jahres erschien, ein Klasse-Auftritt, der vor allem durch die Hingabe des exzentrischen Künstlers, seine Performance und die Outfits glänzte. Auf der Hauptbühne zeigten derweil die Mittelalter-Rock-Newcomer Vogelfrey allen, wo der Hammer hängt, bevor es später mit der Eisfabrik elektronisch-frostiger wurde und man vor allem optisch beeindruckte.
Das erste Highlight des Tages markierten wohl die Berliner Ost+Front, die in bester Rammstein-Manier ihre skandalträchtige NDH-Stampede vom Stapel ließen, was alle Fans der Stilistik und härterer Töne freute. Im Vergleich mit der Tour-Liveshow keine großen Änderungen in Setlist und Einlagen, dafür schön, die Jungs mal auf größerer Bühne zu erleben, verfrachtet man die Band sonst immer in kleinere Clubs, obwohl Sound, Schauspiel und Bild wie geschaffen für Größeres sind. Mit Songs von ihrem jüngsten Werk „Ultra“, grimmiger Maskierung und frivol-perversen Anleihen ging es heftig zur Sache: „Sternenkinder“ als Opener und „Sonne, Mond und Sterne“ sind noch melodische Mitsing-Nummern, wohingegen bei dem Porno-„Liebeslied“ und „Gang Bang“ eigentlich eher Texte geschmettert werden, die nach 22 Uhr besser aufgehoben wären. Trotzdem: Eindrucksvoll wie immer, Schnaps-Infusionsbeutel für die Massen, den Band-Prügelknabe Eva Edelweiß in die Menge hielt, bitterböse Sounds und wie zum Spott ins Publikum geworfene, schwarze Luftballons, die am Ende zur Krönung den „Bitte schlag mich, so fest wie du nur kannst“-Chorus platzend untermalen durften – all das ergab einen starken Gig, der am ersten Tag so nicht mehr zu überbieten war.
Während gleich im Anschluss die Anhängerschaft der Gothic-Wegbereiter in deutschen Landen, Das Ich, die Bühne heimsuchten und einen starken Querschnitt ihrer bisherigen Diskographie lieferten, zog es manch Andere schon wieder in die Sumpfblume, um dem melancholischen Side-Projekt Folk Noir von Faun-Frontmann Oliver „SaTyr“ Pade zu lauschen. Dabei eröffneten Stefan Ackermann und Bruno Kramm mit dem reißerischen Song „Kannibale“, nur um gleich darauf ihre Klassiker „Die Propheten“ und „Kain und Abel“ zu bringen, dessen „Die Totgeweihten grüßen dich“-Fanal noch lange nachhallte. Trotz der Tatsache, dass die Klassiker noch immer zogen, kam man nicht umhin zu bemerken, dass Das Ich alt geworden sind – offensichtliche Playbacks, bei denen man nur noch Herumgeschiebe der Keyboards und böse Grimassen bezeugen durfte, sich ziehende Ansagen und Geschichten aus Anfangstagen der Band führten zu mehr Nostalgie als Begeisterung; dennoch gaben die Herren an, an einem neuen Album zu arbeiten – begrüßenswerte News für die Jünger des elektronisch-sinfonischen Projekts, dessen letztes Studioalbum „Cabaret“ immerhin von 2006 stammt und Zukunft lange Zeit ungewiss war, da Sänger Ackermann aufgrund einer Hirnblutung lange angeschlagen war. Gewidmet wurde der Auftritt dem kürzlich verstorbenen DJ Granini, alias Dirk Granemann, der ein guter Freund der Band war. Und der energische, beinahe skurrile „No More Nazis!“-Urschrei zwischendurch seitens Ackermann konstatierte ebenso noch einmal, wofür die Schwarze Szene stehen sollte. Aber irgendwie zog die Neue Deutsche Todeskunst der Alteingesessenen nur noch mit dem Disco-Klassiker „Destillat“.
Bei Folk Noir drüben hinter dem Café gab es derweil ein paar technische Schwierigkeiten, die aber gekonnt witzig überspielt wurden, ehe es mit hypnotischen Hintergrundvideografien versehenen, träumerischen Dark Folk auf die Ohren gab – leider ohne den kurz angeteasten „Dear Misery“, dafür mit herrlichen anderen Songs, die stückweise sogar ein wenig Post Rock-Dissonanz verliehen bekamen (schon stark, was man so aus Drehleiher und Bouzuki herausholen kann) und durch den Gesang, mal einzeln, mal im Duett von SaTyr und Livy Pear unvergessliche Dimensionen annahm. Schade, dass es immer noch nicht wirklich eine Platte zu erwerben gibt! Die Soundprobleme betreffend, mit denen man anfangs zu kämpfen hatte und die den Gig etwas verkürzten, hatte der gewitzte Herr einen guten Spruch auf den Lippen: „Für alle, die jetzt erst dazu gekommen sind, nein, wir sind keine experimentelle Band, das hier ist noch nicht das eigentliche Konzert.“
Mit der portugiesischen Dark Metal-Front Moonspell, welche mal sehr melodisch, mal wieder fast Black Metal-eske Songs im Repertoire haben, endete die Show an der Hauptbühne: Fast anderthalb Stunden lang gab es ein Destillat der ausgedehnten, seit über zwanzig Jahre aktiven Truppe, mal vom jüngsten Machwerk „Extinct“ mit den Hits „Breathe (Until We Are No More)“, dem Titeltrack oder „The Last of Us“, mal aus alten Tagen mit dem atmosphärisch beklemmenden „Vampiria“ oder den „Irreligious“-Classics „Opium“ und „Herr Spiegelmann“. Zu letzterem griff Sänger Fernando Ribeiro zu zwei reflektierenden Platten, mit denen er die Lichtstrahlen nach Belieben lenkte, welche in Kombi mit der ohnehin schon tollen Live-Show zu einem optisch großartigen Effekt führten. Ein starker Headliner, dessen Augenmerk mehr auf der Variationsfertigkeit der Band denn auf metallische Härte lag – bei diesem Festival großartig, auf mehr Metal-lastigeren Events wohl zu lasch. Zum Feiern durfte man entweder mit Ye Banished Privateers zum Rum greifen, welche sich mitten in der Halle tummelten, kaum hatten die Lissaboner ihre letzten Töne gespielt, oder in der „Sumpfe“ einfinden, wo im Anschluss an die Clown-Metal-Liga apRon eine Aftershow-Party stattfand. Leider vergraulten die Jungs mit ihrem Klamauk die Ur-Batcaver-Goths und nur noch diejenigen blieben vor Ort, die die Band und die Selbstironie ihrer Songs kannten, die den Tag über zu viel Met in ihren Krügen hatten oder die nicht so recht wussten, wie ihnen geschah. Aber wer kann es verdenken? Konfettisintfluten, aufblasbare Krokodile und schlecht abgemischte Vocals sind nicht für jeden etwas, vor allem nicht für diejenigen, die zu düsterer Mucke noch ein, zwei Bier trinken wollten. Diese war im Übrigen am Ende ohnehin derart laut, dass man sich nur noch draußen regulär unterhalten konnte. Und so hatten viele Besucher nicht mal ein müdes Lächeln für die Jungs übrig, deren Sound eigenen Angaben zu Folge sich irgendwoe „zwischen System of a Down und der Ersten Allgemeinen Verunsicherung“ bewege.
So endete der erste Tag des wunderschönen Hamelner Festivals, welches in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfand. Wer in der City eine Bleibe organisierte, hatte keinen langen Heimweg zu verbuchen, manche reisten dann mit dem leider mit gar nicht so niedrigem Preis versehenen Shuttlebus in die nächsten größeren Orte – ein Jammer, sollte der Service zunächst sogar umsonst angeboten werden, aufgrund mangelnden Zuspruchs auf der Facebook-Präsenz konnte der Dienst dann allerdings doch nur zu saftigen Preisen geboten werden. Von schwarz angemalter City in Wave-Gotik-Treffen-Größenordnung konnte man beim Autumn Moon sowieso nicht sprechen – trotzdem staunten die Städter nicht schlecht, wenn die schwarzen Besuchermassen in Scharen an der Hauptstraße entlang trotteten oder durch die Innenstadt schlenderten, um zum Papa Hemingway (ironischerweise direkt nebst großer Stadtkirche zu finden) oder zu den örtlichen Banken zu gelangen, und man fühlte sich ein bisschen an Leipzig erinnert. Die einzige Sache, die sich nicht ganz erschloss, war wohl der frühe Auftritt von Xandria, die eigentlich einer der Headliner gewesen sein dürften, aber wer weiß, womöglich wollte die Gruppe auch gern den Festivalauftakt mitgestalten. Weiterhin fiel auf, dass die Veranstalter sehr darauf bedacht waren, dem Publikum so wenig Lauferei wie möglich zuzumuten (auch wenn die Orte keine Weltreisen voneinander entfernt lagen), denn wer nicht gerade zu den Genre-Hoppern und Querbeet-Hörern zählt, brauchte am ersten Tag die Location eigentlich nicht zu wechseln, wenn er nicht vorhatte, die gesamten Örtlichkeiten zu erkunden. Der Gesamteindruck für Erstlinge: Hauptbühne und Sumpfblume boten ein perfektes Lineup, über die Reihenfolge der Bands kann man diskutieren – wunderschöne Aufmachung, tolle Locations und vor allem erstklassiger Markt draußen machten den ersten Tag zu einem extrem guten Erlebnis. Nur schade, dass die Aftershow-Party so ein Reinfall wurde: Das Ärgernis um apRon ohne musikalische Alternative wird einige Besucher eher als gewollt und gewünscht ins Bettchen getrieben haben! Leider auch nicht das einzige enttäuschende und organisatorisch fragwürdige Festival-Mosaiksteinchen – mehr dazu in unserem Bericht zu Tag 2.