Am 16. November besuchten experimentierfreudigen Briten von Anathema die Live Music Hall in Köln im Rahmen ihrer Europa-Tour zum neuen Album „The Optimist
“. Wie aus Bandkreisen zu hören war, wartet das neue Album mit der „dunkelsten, herausfordernsten und ungewöhnlichsten Musik“ der Bandgeschichte der vielseitigen Gruppe um Frontmann Vincent Cavanagh auf. Mit ihrer ungewöhnlichen Support-Band Alcest aus Frankreich lockte die Combo auch gleich mehrere Lager von Musikfans nach Köln-Ehrenfeld. Lest hier, wie der Abend sich gestaltete.
Die eröffnende Blackgaze-Gruppe um Frontmann Neige, welche gewissermaßen im Alleingang ihr eigenwilliges Genre zwischen Black Metal-Melancholie und Shoegaze-Träumereien kreierte, faszinierte und irritierte wohl die Besucher gleichermaßen. Das ist aber auch eine Kombination, die die Pariser Formation hier fährt, die es im postmodernen Musikkosmos so noch nicht gab: Alcest seien „mehr oder weniger allein verantwortlich für die schleichende Symbiose von Shoegaze, Post-Rock á la Explosions In The Sky und norwegischem Black Metal, einem der unbeugsamsten Genres überhaupt“, so titelte man bereits in der Pressemitteilung. Mit „Kodama
“ ist 2016 via Prophecy Productions das jüngste Album erschienen, das unisono in der Fachpresse abgefeiert worden ist, von welchem auch gleich der eröffnende Titelsong, sowie „Oiseaux de proie“ und „Eclosion“ präsentiert wurden. So geschah es, dass unter den Besuchern auch viele Fans harscherer Metal-Klänge zu Besuch waren, die sogar mehr oder weniger hauptsächlich für Alcest angereist waren, und sogar welche, die zum Hauptact Anathema die Segel strichen. Gerade in den hinteren Reihen wurde es später nämlich lichter. Befremdlich musste das Vorprogramm hingegen für die Anathema-Fans gewesen sein, welche nicht vertraut damit waren, was sie erwarten würde: Schließlich sind die Alcest-Songs ständig durchsetzt von mal seichten Post Rock-Klängen und Clean-Gesang, bevor sie in ihren reißerischen Höhepunkten mit typischen dissonanten Black Metal-Vocals auftrumpfen – und das wird gewiss nicht allen Anwesenden zugesagt haben. Das finale „Délivrance“ sorgte trotz polarisierenden Auftretens für tosenden Applaus unter allen Besuchern.
Nach kurzer Pause traten dann gegen 21 Uhr Anathema auf die Bühne, deren eröffnendes Instrumental „San Francisco“ zunächst vom melancholisch-schönen Progressive-Electronic-Song „Love On A Real Train“ von Tangerine Dream eingeleitet wurde. Anathemas Auftritt war in vielen Aspekten ein krasser Gegenentwurf zum Eröffnungsritus von Alcest, in anderen dann aber auch wieder sehr ähnlich, sind ja gerade die gefühlvollen, emotionalen Eskapaden und Momente in den Stücken beider Bands eine zusammenschweißende Gemeinsamkeit. Gesanglich, auch in Bezug auf den Wechsel von männlichen und weiblichen Stimmen, und in der Spielart der Instrumente gingen beide Acts natürlich separate Wege. Nach den gefeierten Alben „Weather Systems“ (2012) und „Distant Satellites“ (2014) meldeten sich die Briten von Anathema nun mit ihrem elften Studiowerk „The Optimist“ zurück. Über die Jahre kann man auch von einer ebenso radikalen Wandlung der Musik der Combo sprechen: Nicht nur wandelte sich die Band seit den frühen 90ern von Doom- und Death Metal-Einflüssen über Gothic-Stilistik hin zum düsteren, einkehrenden Alternative Rock von heute, sondern zeigen auch im Jahre 2017 die hochgelobte Experimentierfreude, die der Band seit jeher große Erfolge bringt. Vom schreienden gitarrengetriebenen Post Rock des Songs „Springfield“ über die Film-Noir-artige, jazzige Brillanz von „The Lost Song, Pt. III“ bis hin zum träumerischen „Untouchable“-Doppelfinale in der Zugabe war das Konzert eine wunderbare Erfahrung. Besonders hervorzuheben auch der eingeflochtene Solo-Song „The Exorcist“ von Danny Cavanagh oder der Fleetwood Mac-Cover-Song „Big Love“, der auf der Tour nicht auf jedem Konzert gespielt wurde.
Fazit: Was Anathema mit ihren gefühlvollen Stücken auslöst, ist eine einzigartige Erfahrung, vor allem, wenn man sie live erlebt. Die Setlist spiegelte einen guten Mix ihrer bisherigen Diskographie wieder, auch wenn man betonen muss, dass es auf der aktuellen Tour noch weit mehr Stücke vom aktuellen Album in diese hätten schaffen dürfen. Trotzdem: Eine beschwingende, berührende Atmosphäre nicht ohne eine andächtige Ehrfurcht herrschte in der Live Music Hall an diesem Abend, eingeleitet von etwas energischeren Klängen seitens Alcest, die wohl einen tiefen Eindruck unter allen Besuchern hinterlassen haben werden. Ob nun positiv oder negativ sei mal dahingestellt, auch wenn die Kombi beider Bands stellenweise etwas unorthodoxen Charakter hatte – schade auch, dass tatsächlich manche bereits nach Alcest die Location verließen. Das haben Anathema definitiv nicht verdient. Anathema begeisterten bereits in den letzten Jahren mit beeindruckenden Akustik-Shows, eine neue Rock-Tour zu erleben, war aber definitiv ein sehenswertes Erlebnis, das jedem Fan emotionaler Klänge ans Herz gelegt sei.