Tüsn-10Die Veranstalter des Amphi Festivals schienen auf einige Unmutsbekundungen in den sozialen Netzwerken und Beschwerden vor Ort reagiert zu haben und so gab es am zweiten Tag einen zusätzlichen Ausgang für die Theater Stage – leider aber noch immer keinen weiteren Eingang. Die Anzahl der Zuschauer bei Beyond Obsession und TÜSN am Sonntagmorgen bei der Main Stage war erwartungsgemäß sehr überschaubar. Dies hielt die Interpreten jedoch nicht davon ab, die Stimmung anzukurbeln und das Publikum vor der Bühne zum Tanzen zu animieren. Dieses mal geschah das übrigens nicht bei Nieselregen, sondern bei strahlendem Sonnenschein, der viele Besucher in ihrer Montur schon jetzt ordentlich ins Schwitzen gebracht hat. Dennoch gelang es insbesondere TÜSN-Frontmann Snöt, die Menge zum Mitschwingen und -singen anzuregen, da der eingängige Song Schwarzmarkt den Grundtenor der schwarzen Feierkultur gut auf den Punkt bringt. Nach diesem bezaubernden Anfang ging es hurtig weiter zum Theater, das man noch immer umrunden musste, um wenigstens einen Teil von Mantus mitzubekommen, die ganz und gar einnehmende Lieder präsentierten und in der abermals gut gefüllten und unangenehm schwülen Halle erst für romantische Stimmung mit Balladen, um dann das Tempo anzuziehen und rockigere Sounds darzubieten. Leider hielt man es im Theater nicht lange genug aus, um das Konzert Unzucht-3vollständig zu sehen, aber da sich Unzucht auf der Hauptbühne ankündigten, gab es am Programm wenigstens nichts auszusetzen. Diese präsentierten Altbewährtes aber auch Neues – die neue Platte „Neuntöter“ steht ja kurz bevor.

Vorab eilte man jedoch noch schnell zum Trinkwasser-Brunnen, da es mittlerweile unerträglich warm war und die Schlange vor den Wasserhähnen erzählte davon. Warum man für mehr als zehntausend Besucher nur zwei Quellen auf dem Gelände öffnete, bleibt ein Geheimnis. Fakt ist jedoch, dass es definitiv mehr werden dürften, denn zum Stand neben der
Hauptbühne zu laufen, dauert effektiv zu lang, wenn man am anderen Ende des Geländes unterwegs ist und eine lange Schlange ist gerade für die zahlreich anwesenden Kinder eine noch größere Tortur als für einen durstigen Erwachsenen. Selbstredend kann man so auch den Umsatz der Getränke-Verkäufer steigern, aber Besucher mit kleinerem Budget so zum Wa
rten zu zwingen, ist nicht gerade die feine englische Art. Da kann man nur froh sein, dass die Sanitäter gleich am Eingang zugegen waren – die sich an diesem Tag übrigens mit dem ein oder anderen Sonnenbrand, Kreislauf-Problemen und den üblichen Alkohol-Begleiterscheinungen herum schlagen durften. Den Grund dafür sieht einer von ihnen, der anonym bleiben möchte, in der Anlage des Tanzbrunnen-Geländes: „Wenn man hier herum läuft, sind viele Bereiche nicht bepflanzt oder irgendwie anders vor der Sonne geschützt. Da knallt einem dann die ganze Zeit die Sonne auf den Kopf und auf Dauer macht das der Kreislauf nicht mit. Wenn man jetzt direkt vor der Bühne, am Schiff oder im Theater ist, kann man sich erholen, aber zwischendurch sollte man schon darauf achten, sich einzucremen oder einfach einen Regenschirm als Sonnenschutz zweckentfremden.
Nach einer weiteren, der Hitze geschuldeten Pause an der Strandbar mit angrenzendem VIP-Bereich orientierte man sich in Richtung Theater, wo erst Ost+Front ihre „Ultra“-Attitüde entfesselten und anschließend die Herren Coppelius aufspielen sollten. Auch hier die Ernüchterung: der Wechsel zur Theater Stage gelang  auch dieses Mal nicht ganz so reibungslos und man stand eine ganze Weile auf einem Fleck und war währenddessen der prallen Mittagssonne schutzlos ausgeliefert. Als man es dann endlich ins Theater schaffte, bereute man den Gang hierher sogleich wieder: Die knallende Sonne wurde im Coppelius-8Foyer durch abgestandene, verbrauchte und viel zu warme Luft ausgetauscht – vom Regen in die Traufe, wenn man die Metapher denn bei der Wetterlage gelten lassen will. Immerhin war es dank der Überdachung schattig. In der Halle selbst war die Luft nur wenig angenehmer, denn die Location besitzt zwar eigentlich eine funktionierende Klimaanlage, schien aber den Menschenmassen nicht so recht gewachsen. Zudem war es vor der Bühne noch ziemlich düster und nachdem man mehrmals über am Boden hockende Konzertbesucher gestolpert war, traf man den entnervten Entschluss, den Konzerten vom Foyer aus beizuwohnen. Glücklicherweise spielten die Jungs von Ost+Front keine seichten Klimperstücke und waren daher auch in der Vorhalle bestens zu hören. Der NDH-Sound, den einige zu Beginn der Karriere der Berliner noch als „Rammstein Light“ verhöhnt hatten, ist inzwischen längst aus dem Schatten des einstigen Über-Ichs hervorgetreten. Nicht zuletzt, weil die martialisch geschminkten Jungs um Sänger Herrmann wesentlich produktiver sind als die Genre-Urgesteine. Da verwundert es kaum, dass der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt ist und viele Titel wie das schaurige Denkelied oder Fleisch lauthals mitgegrölt wurden. Definitiv einer der Höhepunkte des zweiten Tages, wenn man auch zugeben muss, dass die makaberen Texte und Themenkreise nicht Jedermanns Sache sind.
Das Folge-Programm sollte die zart besaiteteren Zuhörer in jedem Fall wieder beruhigen, denn die Steampunk-Charmebolzen von Coppelius übernahmen nun das Ruder und heizten dem Theater mit einem hinreißenden Potpourri aus Sehnsuchtsliteratur, technischem Aufschwung und den Schlagzeug-Stakkati von Schlagzeuger Nobu-sama ordentlich ein. Da sich die Gruppe zu einer künstlerischen Schaffenspause entschlossen hat, war es vor der Bühne nach wie vor brechend voll: Kein Fan wollte diesen Auftritt verpassen! Als die Reise in die Vergangenheit beendet war, blutete einem fast ein Joachim Witt-4bisschen das Herz, dass der Gig vorerst einer der letzten der Herren um Butler Bastille gewesen war. Mit dieser Betrübtheit war man offenbar auch nicht alleine: Die vielfach erklingenden Bitten nach einer weiteren Zugabe blieben ungehört und endetn in langen Gesichtern.

Nach einer längeren Session im Theater – währenddessen hatten auf der Main Stage unter anderem Covenant und Project Pitchfork ordentlich für Stimmung gesorgt – wurde es bereits Zeit für die Headliner und man machte sich eiligst auf den Weg zum Tanzbrunnen, um einen guten Platz bei den Editors zu ergattern. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass diese Eile gänzlich unbegründet gewesen war, denn auf dem Hauptgelände war es vergleichsweise übersichtlich. Offenbar hatte es das Gros der Besucher zu Joachim Witt, dem Phönix aus der NDW-Asche, gezogen oder gleich in die Arme der Spiritual Front verschlagen. Gut, der Sound der Indie-Größen ist doch sehr sanft für ein großes Konzert zur Hauptspielzeit, dennoch ist hervorzuheben, dass man die Combo aus Birmingham definitiv seltener zu Gesicht bekommen wird als die Alternativen, weshalb schon von Beginn an außer Frage stand, dass die Redaktion diesem Konzert beiwohnen würde. Gelohnt hat es sich absolut! Zeitgleich hatte Joachim Witt im Theater etwas Probleme mit der Technik, weshalb sein Auftritt mit etwa 20 Minuten Verspätung begann. Die Wartezeit machte er allerdings mit Witz und Charme wieder wett.

Im Übrigen durfte man das gesamte Festival über auch ein paar Pokémon Go-Spieler beobachten, die während der Konzerte auf ihr Smartphone starrten und die Arena direkt im Tanzbrunnen-Zentrum zu einem heiß umkämpften Schauplatz machten. Whatever floats your boat, mates.

Fazit: Auch wenn bei der Reunion noch nicht alles so glatt gelaufen ist wie erhofft, so kann man sich in diesem Augenblick doch nur zuhause und angekommen fühlen – und so bleibt nur übrig, in bestem Kölsch zu schwärmen: Amphi, do bes und blievs e Jeföhl! Vita Nigra freut sich schon auf das nächste Festival am 22. und 23. Juli 2017.