Allen Widrigkeiten des Vortags zum Trotze begrüßte Tag 2 des Amphi Festivals seine Besucher mit Sonne und durch die geöffneten Außenanlagen mit richtiger Festivalstimmung. Durch die vom Vortag verlegten Bands begann das Spektakel auch schon weit früher als geplant: so starteten [:sitd:] bereits um 10:30 auf der Hauptbühne – wie versprochen mit Ehrengast Chris L. von Agonoize – mit ihrem mind-bending Apocalypse-Techno. Auch die Electro-Popper Diorama durften ihren geplatzten Gig auf der Außenbühne nachholen, genau wie Inkubus Sukkubus auf der Orbit Stage – allerdings schrieb der Gesetzgeber für Außenveranstaltungen an einem Sonntag einen obligatorischen Anfang von 12 Uhr vor, ein weiterer Stolperstein für die Planer und Veranstalter im stillen Kämmerlein vom Chaos-Samstag. Die lustige Arbeiter-Electro-Truppe Patenbrigade:Wolff legte wohl den skurrilsten Auftritt des Tages hin, und das bereits kurz vor Mittag: mit Absperrband und Outfits vom Bau gab es schon früh den Band-Klassiker „Der Brigadier trinkt Bier“.
Erstmals richtig rockig ging es mit den Rammstein-Nacheiferern Stahlmann zu, die gleich ihr neues Album „Co2“ samt neuer Single „Plasma“ promoteten. Im Anschluss dann eine weitere optische wie akustische Wohltat: Das Ich, nach dem krankheitsbedingten, langen Ausfall von Sänger Stefan Ackermann wieder in voller Stärke. Die Setlist ließ etwas zu
wünschen übrig, aber wenigstens durften alle lechzenden Electro-Fans den Saal mit ihrem Tanzen zu „Destillat“ zum Beben bringen, bevor der komplett rot bemalte Exzentriker seinen Gläubigern noch ein schönes Festival wünschte. Mit auf der Bühne im Übrigen Schneewittchen-Sängerin Marianne Iser, die den Gastgesang zum ruhigen „Cabaret“-Song „Nahe“ übernahm. Genauso unpassend wie ulkig dann auch das angestimmte „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ von Bruno Kramm, der wohl wie sein langjähriger Kumpan wieder danach hungert, mehr Konzerte zu spielen. Unterdessen durften sich alle Freiluftliebhaber draußen von der Psychobilly-Orgie von The Creepshow mitreißen und von Pokaemon Reaktor zusammenschreien lassen, die auch die letzte Müdigkeit nach durchzechter Nacht aus den Poren geschüttelt haben werden – bis auf zahlreiche Lieder mit „fuck“ im Refrain, einen Pikachu-Rucksack und ordentlich Wumms hatte das Fred Durst-Double aber nicht viel zu bieten. Eher werden die international zusammengewürfelten Dark Rocker von Darkhaus -schon vorab als Amphi-Geheimtipp gehandelt- ordentlich die Massen angelockt haben, all das bei wohlverdientem Sonnenschein nach dem grauen Sud am Himmel am Vortag.
Erster und wirklicher Ausfall des Tages: Comedian Der Tod, bisher immer mal wieder als Moderator oder Bandansager aufgetreten, bekam nun am Nachmittag eine ganze Stunde auf der Hauptbühne geschenkt. Morbider Humor mag bei manchen ja gut ankommen, der Gesamttonus bei vielen Besuchern war allerdings eher dieser: „lahm, ermüdend, bestenfalls Schenkelklopfer.“ Schade, wo doch auch die Lesungen von Christian Von Aster, Alexander Kaschte und auch der Zusatz-Auftritt von Welle:Erdball-Honey zum interaktiven Songwriting vom Vortag abgesagt wurden, um den „regulären Musik-Acts“ eine Bühne zu bieten. Zu Combichrist füllte sich die Lanxess-Arena wieder merklich – beim Auftritt von Andy LaPlegua und seinen Drum-wütigen Hintermännern, deren Stick-Verschleiß ins Unermessliche ging, kann man nur von einem gehörigen Zerlegen der Halle sprechen. Da folgt man gerne seinem Aufruf: „Amphi, go fuck, drink and dance all night – cause that’s what life is about.“
Auch die Neue Deutsche Härte-Päpste Oomph! lockten die Besucher zu Hauf an, denen Dero am Mikro einzuheizen wusste. Nicht weniger als 25 Jahre haben die Braunschweiger auf dem Buckel – und passend zur unermüdlichen Show erscheint in diesen Tagen das neue Werk „XXV“, von dem auch gleich ein neuer Song spendiert wurde. Ebenso dürfte das bunte Best of der Diskographie in der Setlist viele Fans erfreut haben. Neben neueren Stücken wie „Labyrinth“ und „Träumst du“, den Evergreens „Gott ist ein Popstar“ und „Augen auf!“ gab es mit „Mein Herz“ und „Der neue Gott“ auch Songs vom 1992er Debüt, da der Gesamtklang noch weit EBM- und Industrial-hafter war. Auch betonte man hier, dass während des Gigs keine Loops und Einspieler kämen, sondern „alles von Hand“ geschmiedet würde. Und vergessen wir nicht die wohl einzige Wall of Death des Amphis zu „Mitten ins Herz“! Aufgrund der speziellen Show standen dann auch sieben Mann statt den üblichen Dreien im Kernaufgebot auf der Bühne. Zeraphine, Welle:Erdball und Samsas Traum bespielten das Publikum draußen derweil gekonnt und routiniert, während dann doch wieder das gute Wetter etwas nachließ. Zu Kaschtes Performance speckte man die Songs klangmäßig etwas ab und es gab eine Soft-Rock-Version vom ursprünglich Black Metal-esken „Heiliges Herz“ und einen Men-Only-Oben-Ohne-Moshpit im seichten Regen zu einigen Bandklassikern wie „Ein Fötus Wie Du“. Zu diesem Zeitpunkt war die Grünfläche schon massiv durch den Plastikmüll der pfandlosen Bierbecher vermüllt. Und wem alle Acts zu künstlich-elektronisch oder zu hart-metallastig waren, der pilgerte zum ruhigen und melancholischen Folk Noir-Gig auf der Orbit Stage, welche bestimmt für einige Besucher eine Überraschung im Gesamt-Lineup bargen.
Die Stimmprobleme von The Mission Frontmann Wayne Hussey, die den Amphi-Gig bedroht hatten, waren kaum zu bemerken. Dennoch bekam er Unterstützung von Nana und Eve Evangel von Lolita KompleX, die ebenfalls Überraschungsgäste waren. Während draußen von Diary of Dreams das Festival beschlossen wurde kam in der Arena der Headliner VNV Nation mit unvergesslicher und sagenhafter Show, die das diesjährige Amphi beendete. Wie schon auf der offiziellen Amphi-Page geschrieben ein Triumphzug – und die zu „Nova“ in ein Lichtermeer verwandelte Halle, jetzt wohl mit jedem einzelnen Besucher gefüllt, werden wir so schnell nicht vergessen. Danke an Ronan Harris, der hier wohl Festival-Geschichte schrieb!
Fazit des 2. Tages: sowie sich der Innenbereich der Lanxess-Arena deutlich leerte und sich die Besuchermassen viel besser auf das Gesamtgelände verteilen konnten, litt man weniger unter Klaustrophobie und konnte auch zu anfänglich wunderbarem Wetter die Außenanlagen weit besser genießen. Die durch den Vortag bedingte Angebotsfülle am zweiten Tag und die alternativen Stages boten unzählige Optionen, wenn einem der Sinn nach Abwechslung von der Arena-Bühne stand. Großartige Bands und ebenso großartige Organisation jedenfalls werden Tag 2 zu einem denkwürdigen, spaßigen und vor allem beeindruckenden Erlebnis für die Besucher gemacht haben. Zusammenfassend muss man sagen, dass jeder Einzelne das ganze Event wie bei jeder Veranstaltung ganz anders erlebt: wo bei einen die Enttäuschung über zähen Ablauf und abgesagte Bands gewaltig ist, feiert manch anderer die kurzfristigen Änderungen oder macht das Beste aus der Situation. Zu der muss man einfach Tag 1 betreffend sagen: Scheiße passiert. Tag 2 holte für die meisten wohl einiges wieder heraus – hier konnte das Festival sich wenigstens so präsentieren, wie es von vornherein an beiden Veranstaltungstagen gedacht war, und für Besucher des gesamten Wochenendes den doofen Vortag wieder gut machen. Der Ärger der Ein-Tages-Ticket-Besitzer von Samstag ist leider verständlich. Traurig um die wirklich entfallenen Acts – Glück für The Other, Chrom und Patenbrigade:Wolff, die die Gelegenheit bekamen, durch ihre vorausgegangenen Größen am Morgen vor breiterem Publikum performen zu dürfen. Unerklärlich, warum Der Tod unbedingt seine volle Show durchziehen musste – um den faden Gag mitzuerleben und Radieschen von unten zu sehen, die er triumphal nach oben hielt, war man sicher nicht angereist. Auch an den Getränke- und Essenspreisen, die niedriggehandelt werden sollten, ist nicht wirklich gedreht worden – bei 4,20€ statt üblichen 4,50€ Bierpreis muss man eher schmunzeln als von günstig zu sprechen. Trotzdem – wir freuen uns gewaltig auf das Amphi 2016 und können schon jetzt kaum die ersten Bandbestätigungen im August abwarten. Gerne wieder, Köln!
Alle Fotos von Tag zwei gibt es bereits in unserer Galerie (-> hier).