Lasst uns alle fröhlich sein! Dies ist die Übersetzung des Titels und das Motto des brandneuen Mini-Albums der Electropop-Virtuosen Welle:Erdball. Seit 1990 wirft Honey mit seiner wandelbaren Truppe ein Album nach dem anderen auf den Markt. Dem Stil der Neuen Deutschen Welle kombiniert mit Dark Wave sind sie dabei stets treu geblieben. Und auch wenn sich der allgemeine Musikgeschmack der Welt wohl geändert haben mag, schlagen Welle:Erdball mit ihren alteingesessenen Klängen stets immer wieder ein wie eine Bombe, die buchstäblich Wellen schlägt. Das Mini-Album erscheint morgen, am 28.04.2017, via Oblivion und trägt den Namen Gaudeamus Igitur und verdient die Bezeichnung ‚mini‘ eigentlich gar nicht. Zwar gibt es nur 10 Tracks, von denen zwei Remixe sind, aber gibt es dennoch die volle Ladung Dark Wave mit einer Prise Vespawind und Meeresbrise. Mit dabei ist natürlich auch der Sommer-Hit von 1965 „Die letzte Chance zu leben“ in ganz eigener Interpretation. Wir haben reingehört und verraten euch nun, ob sich das Album lohnt.

Das Album beginnt mit „Vespa 50N Special“, das mit dem Knattern einer fortfahrenden Vespa und elektronisch sanften, aber eingänglichen Rhythmen beginnt. Die Synthesizer laden den Hörer in eine poppige und futuristische Welt, während Honey sein ‚Mädchen‘ mit auf die Reise nimmt. Treibende, seichte Beats führen weg aus Deutschland, weg von der Welt und weg von Macht und Geld. Darauf folgt auch sogleich der Titeltrack „Gaudeamus Igitur“, der mit zwei Minuten sehr kurz we-gi-blechschild01ausfällt. Der mehrstimmige, lateinische Gesang wirkt dabei wie ein Kirchengesang oder eine Beschwörung und wirkt eher nicht wie eine Einladung zum Fröhlich sein.
So mystisch wie der Titeltrack endete, so statisch beginnt der Song „20.000 Meilen unter dem Meer“. Ein Funkton bohrt sich in den Gehörgang, während im Hintergrund Töne anschwellen, die an eine sagenumwobene Wasserwelt erinnern. Ging es zuvor auf der Vespa einfach nur fort, so geht es nun mit dem U-Boot in die tiefsten Tiefen der See. Wieder steht aber die Entfernung zu menschlichen Bedürfnissen im Vordergrund. Ein Paar, das stets auf der Suche nach Ruhe und Frieden ist, singt sich durch die Luft, wird von stechenden und ratternden Synthesizern begleitet, was der Ruhe irgendwie ein wenig den Charme nimmt. Der Song lädt daher eher zum Tanzen ein.

Der Sommer-Hit von 1965 „Die letzte Chance zu leben“ lädt den Hörer dann schließlich in eine heile Welt ein, die lange vergessen scheint. Musikalisch wirkt die Interpretation eher altbacken und schlagermäßig. Man wird aus den Tönen der 80er noch ein Stück in der Zeit zurück katapultiert, aber thematisch ist das Lied immer zeitgemäß. Man lebt schließlich im hier und jetzt und nicht in der Vergangenheit oder der Zukunft. Wer weiß, was morgen ist, also lebt man besser heute!
Der Track „L’Inconnue de la Seine“ führt dann aus den 60ern noch ein Stück weiter in die Vergangenheit. In diesem Song darf nämlich die Unbekannte Tote aus der Seine, die im Jahr 1900 geborgen wurde, selbst die Geschichte nach ihrem Tod erzählen. Als Kunstobjekt hing ihre Totenmaske in diversen Galerien und bei Kunstliebhabern zu Hause, doch die Gefühle der Toten wurden niemals berücksichtigt. Dies ändert dieser Song nun, indem Lady Lila alle Sehnsüchte und Empfindungen der Toten in Text und Stimme legt. Musikalisch regt der Track dabei eher zum fröhlichen Tanzen ein, man sollte aber doch mal kurz inne halten und das Thema würdigen.
Fröhlicher sein kann man dann immerhin mit „Nur mit mir allein“, das musikalisch teilweise klingt, als spielte man ab und an ein altes Modem mit ein. Lady Lila verabschiedet sich in eine Traumwelt, die den Klang des futuristischen Weltraums aufsaugt. Die Reise in die Welt des Internets und der Fiktion gibt es gratis dazu. Ein weiterer Traum, der in vielen Köpfe der heutigen Gesellschaften wohl leben dürfte, ist in „Polyamorie“ thematisiert. Denn wer sagt, dass man nur einen Menschen lieben kann, sollte oder darf? Lady Lila beschreibt das Gefühl sehr genau, wie sich jemand fühlt, der verschiedene Menschen lieben möchte, dass dies aber nur in ihrer Phantasie stattfindet. Es ist schließlich nicht so ganz leicht den Mittelweg zwischen Monogamie und Fremdgehen zu erwischen.
Zum Ende des Mini-Albums gibt es schließlich noch einen C=64 Song. „Stirb mir nicht weg“ beginnt mit Tönen, die aus einer alten Spielekonsole stammen könnten, während Honey rauschend einige verstorbene Stars der letzten Jahre aufzählt. Die Strophen sind schließlich geprägt davon, dass einem alle Idole irgendwann verloren gehen, aber dass sie im Herzen für immer bleiben. Die Töne des C=64 tun ihr Übriges, um den Song zu einem irrealen Phantasma werden zu lassen. Jedenfalls erscheint es so.we-gi-blechschild03

Fazit: Das neue Album von Welle:Erdball ist durch die gerade mal 8 Songs (denn zwei sind ja Remixe von TAX5) erstaunlich kurzweilig, obwohl die einzelnen Stücke einen weit weg entführen wollen und lange und große Geschichten zu erzählen zu versuchen. Musikalisch bieten die Songs genau das, was man von dieser Gruppe erwartet, denn wo Welle:Erdball drauf steht, ist auch Welle:Erdball drin. Diesen Mix aus Neuer Deutscher Welle und Dark Wave muss man einfach mögen, um sich auf ihre Musik überhaupt einlassen zu können.
Für Liebhaber des Elektropops sind aber dennoch nicht unbedingt alle Songs leicht zu verdauen. So bricht doch „Die letzte Chance zu leben“ musikalisch wirklich sehr aus dem Rahmen. Dank der unbekannten Toten aus der Seine findet man aber schnell wieder in den Rhythmus. Mir persönlich hat daher „L’Inconnue de la Seine“ am Besten gefallen. Wohl aber auch wegen des außergewöhnlichen Themas. Merke: Welle:Erdball lässt sich nicht mal eben nebenbei hören, obwohl das Genre verspricht, tanzbare Musik zu liefern. In dieser Art von Musik steckt aber noch viel mehr drin und so lohnt es sich, auch die Texte voll und ganz wahrzunehmen und zu verinnerlichen. Fans der Band werden jedenfalls ihre wahre Freude an den neuen Tracks haben.