Wilhelm Tell. Das war doch der mit dem Apfelschuss, werden jetzt viele vermuten und der Legende nach stimmt das auch. In verschiedenen historischen Quellen taucht die Figur des Tell immer wieder auf, doch ganz ist seine Geschichte nicht gesichert oder kann eindeutig bestätigt werden. Man setzt seine legendären Taten in die Schweiz um das Jahr 1307, doch wird er erst über 100 Jahre später in diversen Chroniken erwähnt. Der berühmte Apfelschuss hingegen taucht schon zuvor in verschiedenen Schriftstücken aus unterschiedlichen Kulturen auf. Erst viele Jahre später wurde der Apfelschuss Wilhelm Tell angedichtet. Wer dieser Tell war und ob er tatsächlich seinem Sohn einen Apfel vom Kopf schoss, ist nicht belegt. Schiller und einige andere Autoren und Regisseure schmückten die legendäre Geschichte weiter aus, sodass sich Tell und der Apfel eng miteinander verknüpften.

Thomas Vaucher, ein junger schweizer Autor, konnte bereits in den vergangenen Jahren mit einigen historischen Romanen bestechen. Sein Werk „Winterhelden“ (-> hier geht es zu unserer Rezension)

beispielsweise handelte von einer fiktiven Figur, basierend auf einer historischen Figur. Bei dem neuesten Buch „Tell – Mann. Held. Legende.“ steht der legendäre Wilhelm Tell selbst im Mittelpunkt. Der Roman beginnt mit einem kurzen Prolog im Jahre 1355, in dem ein Sterbender dem Pater versucht zu sagen, dass seine Geschichte um Tell gelogen war. Der erste Teil der Haupthandlung versetzt den Leser dann in das Jahr 1275, in die Kinderjahre Wilhelms, oder Helm wie er stets genannt wird. Durch einen Zeitsprung in das Jahr 1289 wird der Leser schließlich in Helms Jugend versetzt. Ein zweiter Zeitsprung geschieht zum Zweiten Teil und erzählt schließlich von Helms Leben als Vater und führt schlussendlich zu den erwarteten Heldentaten und dem Apfelschuss.

Der erste Teil mit dem Untertitel „Der Sohn des Bärentöters“ beginnt mit dem tragischen Tod von Helms Vater. Daraufhin muss sein strenger und skrupelloser Onkel ihn bei sich aufnehmen. Unter seiner Knute stehend, wächst Helm zu einem starken jungen Mann heran. An einem schicksalhaften Sommertag lernt er auf der Mühle seines Oheims die hübsche Anna kennen, die ihn zu einem Fest einlädt. Dort kommt es zu einem Vorfall, der Helms Leben für immer verändern soll. Nachdem er den Sohn des mächtigsten Mannes der Umgebung niedergeschlagen und ihn für tot geglaubt hat, flieht er kopflos. Durch einen Zufall kann er sich einer Söldnertruppe anschließen, den Schattenläufern. Dort wird er zu einem Armbrustschützen ausgebildet und kann sich gleich in mehreren Schlachten behaupten. Hauptmann Schatt wird für ihn zu einer Vaterfigur, doch schnell muss er einsehen, dass er sich in ihm getäuscht hat.

Der Tellschuss aus

Der Tellschuss aus „Illustrierte Literaturgeschichte“ 1880, gemeinfrei

Der zweite Teil des Romans trägt den verheißungsvollen Titel „Die Geißel des Teufels“ und springt in das Jahr 1307. In dem alten Hof seines Vaters steckt dank Helm und seiner Familie wieder Leben, doch die friedlich scheinende Idylle wird schnell durch Hermann von Spiringen überschattet, dem gnadenlosen Vogt! Aus alten Brüdern der Schattenläufer wird schnell ein fähiger Widerstand gegen Hermann und gegen andere grausame Vögte. Im Zuge dessen kommt es auch zu dem legendären Apfelschuss, der leider nicht so verläuft, wie die Legende es behauptet. Hier kommt einem wieder der Prolog in Erinnerung und auch der Epilog, der sich zeitlich gesehen nahtlos an den Prolog anfügt, bestätigt dies.

Insgesamt ist der historische Roman spannend aufgebaut. Im ersten Teil hat man jedoch nicht das Gefühl, dass es sich nur um ein paar Monate handelt, während Helm bei den Schattenläufern so einiges erlebt. Der Leser wird dabei durch Helm selbst bestätigt, für den diese Zeit ebenfalls wie einige Jahre vorkam. Auch wenn der erste Teil noch nicht so mitreißend geschrieben ist, hängt man dem Erzähler dennoch an den Lippen. Zweifelsohne, weil man unbedingt vom Apfelschuss lesen will. Diese ganze Vorgeschichte erweist sich allerdings als unglaublich wichtig für den zweiten Teil, denn in dem geht es erst so richtig zur Sache. In etwas über 100 Seiten ballt sich mehr Energie, mehr Spannung, mehr Faszination als in Teil eins, doch als es schließlich zum Apfelschuss kommt, bleibt einem einfach nur der Mund offen stehen. Ein Stück der Grausamkeit der Vögte schwappt auf den Leser über und lässt ihn frösteln. Vaucher übernahm mit seiner Geschichte des Tells die Geschichte, wie sie erzählt wurde und legt sie teils fiktiv, teils historisch neu aus. Er legt Tell eine Wahrheit in den Mund, die der Leser so zunächst einmal willenlos hinnimmt und die gleichzeitig so plausibel klingt, dass eine weitere Recherche über Wilhelm Tell beinahe überflüssig wird. Dennoch wird Tell immer eine Legende bleiben und auch wenn mit diesem Roman die „wahre“ Geschichte vorliegt, wird Tell immer der bleiben, der seinem Sohn souverän den Apfel vom Kopfe schoss und den grausamen Vogt daraufhin stürzte. „Helden wurden geboren und starben, Legenden hingegen lebten ewig.“ (Vaucher, Tell, S. 310), mit diesem Satz endet ein spannender, historischer Roman, der mit Liebe, Freundschaft und Intrigen spielt, um so ein großes Ganzes zu formen.