X-RX-7Am Wochenende des 23. und 24. Juli lockte Köln wieder zum diesjährigen Amphi Festival – nach der großen Ankündigung, das Event würde dieses Jahr wieder in alter Heimat im Tanzbrunnen am Rheinufer stattfinden, löste bei vielen Fans Erleichterung aus und sorgte für reichlich Diskussionsstoff – tatsächlich spaltete das Festival Anno 2015 die Fan-Gemeinde der Gothic- & Electro-Musik zutiefst und beschwor eine Kontroverse herauf, die sich gewaschen hatte. Bei schwülen Temperaturen und leichtem Nieselregen machten sich die Szene-Anhänger über die öffentlichen Verkehrsmittel oder den großen Messe-Parkplatz im Stadtteil Deutz auf den Weg zum Gelände, holten ihr diesjähriges Festival-Bändchen ab (dieses Jahr im militärischen Tarnfarben-Look) und betraten das Gelände zum zwölften Amphi-Aufspiel. Im Gegensatz zu dem letzten Malen, als das Festival im Tanzbrunnen-Gelände stattfand, gab es auch ein paar Änderungen: nachdem das Staatenhaus nicht länger als dritte Bühne zur Verfügung stand, wichen die Veranstalter auf den ein paar Minuten Fußweg entfernten Anleger der MS RheinEnergie am Kennedyufer aus, auf welcher schon am Freitag Abend der „Call The Ship To Port“-Festival-Auftakt mit Oomph! und Apoptygma Berzerk zelebriert wurde und die nun als weitere Bühne fungierte. Die Orbit Stage, so der Name, wurde bereits vergangenes Jahr eingeführt – doch nun konnte man sich auch am kulinarischen Angebot des Schiffes laben und sich zum Chillout aufs Sonnendeck verziehen. Wir waren dabei und verraten euch auch, ob sich das „Coming Home“ gelohnt hat.

Während die Alternative Metal-Newcomer One I Cinema, die eigentlich auf der Theater Stage eröffnen sollten, ihren Auftritt leider wegen Krankheit absagen mussten, startete das Programm der Hauptbühne fulminant mit den Electro-Schergen [x]-Rx und Solitary Experiments – während Erstere vielleicht durch einen zu frühen Auftritts-Slot bedingten Plätscher-Auftritt hinlegten, servierten Letztere in adretten, roten Hemden zunächst einen atmosphärisch dichten Gig und präsentierten sogar mit „I Am“ ein neues Stück ihrer nahenden, neuen Veröffentlichung. Für die einen vor der Hauptbühne, für die anderen beim Flanieren über die Essensmeile und bei den ersten Einkäufen bei den vielen, vielen Händlern waren gerade „Epiphany“ und „Stars“ richtige Launemacher – und das sah man auch schon jetzt dem Publikum richtig an. Akzeptable Preise gab es nicht überall bei den Nahrungsmitteln, typische Festival-Überteuerung war aber auch nicht zu spüren, gerade weil ja auch über das Angebot und die Kosten 2015 ordentlich gemeckert wurde. Die Händler lockten mit Giveaways, die Food Stores mit Essen, bei dem für jeden Feinschmecker etwas dabei gewesen sein sollte – vom Amphi Burger über Pulled Pork und Pizza bis hin zu chinesischen Nudeln, Pommes und vegetarisch-veganem Angebot alles dabei. Etwas Schade, dass man im Prinzip nie einen Sitzplatz im Brunnenrondell mittig des Tanzbrunnens fand, wenn man nicht bei Gelände-Eröffnung symbolisch sein Handtuch dort platziert hatte.

Megaherz-18So richtig begann für manche Besucher der Tag 1 des Festivals erst mit den Neue Deutsche Härte-Veteranen und Bühnen-Zombies Megaherz, die genau wie auf ihren jüngsten Touren mit „Kopfschuss“ und den „Zombieland“, sowie „Erdwärts“-Stücken einen schönen Mix aus Alt und Neu boten – oder eben mit einer anderen Art von wandelnden Toten auf dem Eröffnungs-Gig der Orbit Stage bei Horrorbilly-Virtuosen Bloodsucking Zombies From Outer Space, die mit ihren Pilgern keine Gnade hatten und eine teils schweißtreibend-rasante, teils wieder sehr skurril-makabre Show auf Lager hatten – die kühle Klimaanlage an Bord kam irgendwann nicht mehr gegen die Luft während des Auftritts an. Über das österreichisch-deutsche „Der Kopf Deiner Mutter“, die Klassiker „Radio Active“ und „Monster Mutant Boogie“ bis zum genialen Falco-Cover von „Vienna Calling“ ein geiler Gig. Ein ver-Rockabilly-tes Medley aus Alice Coopers „Poison“ und W.A.S.P.s „I Wanna Be Somebody“ gab es als Zugabe, während der Bühnen-Werwolf noch ein paar Gratis-EPs in die Menge warf. Am Ende fielen Sänger Richie noch seine Hautfetzen vom Gesicht – die Jungs steckten eben ordentlich Herzblut in ihren Auftritt. Auf dem Weg zur MS RheinEnergie, der im Schnitt zehn Minuten dauerte, hatten die Veranstalter auch außerhalb des eigentlichen Geländes Merch-Stände, Bieraufgebot und Essens-Buden aufgestellt – nur man sollte gefeit sein vor dem Kopfsteinpflaster-Weg zum Bootsanleger, gerade wenn man (oder frau) eher hochhackige Schuhe trug.

Während Stahlzeit mit ihrer Rammstein-Cover-Show die Main Stage abfackelten, blieben manche Besucher aber auch direkt auf dem Schiff, um der lauschigen Sex-Stimme von Laura Carbone zu lauschen, welche ihre Hörerschaft mit eher sanfteren Folk-Klängen einzulullen wusste. Vielleicht waren manche Amphi-Besucher aber auch nur gelangweilt, weil sie kein Rammstein-Original von den Veranstaltern geschenkt bekamen, sondern nur eine –zugegebenermaßen ganz coole, dafür nicht originalgetreue, aber talentierte- Kopie der Industrial Metal-Größe drin war. Klar – die Bekanntgabe der Berliner Band mit R fürs Amphi hätte vermutlich den Rahmen gesprengt oder die Ticketpreise weiter in die Höhe schießen lassen. Aber unter den Amphi-Gänger war vermehrt ein „nur Rammstein kann Rammstein“ oder „Ich will keine Cover-Band meiner Lieblingsband“ zu hören.

Aesthetic Perfection-3Ewigheim, Nebenprojekt der Eisregen-Musiker ohne die Horror-Liebhaber-„Blutkehle“, war ein weiteres Highlight für die Besucher der Theater Stage, welche sich langsam füllte und füllte und allmählich eine stickige Luft aufwies, da die Temperaturen scheinbar proportional zur Besucherschaft stiegen – nur eben mehr als in anderen Hallen. Man kann die Band gar nicht genug loben für ihre geistreichen und poetischen Lyrics, ihre melancholische Ader und ihre trotz all der Stimmungs-Schwere melodischen Songs – über die Klassiker „Das Rad Der Käfer“ und „Heimwege“ bis hin zu neueren Stücken ein wahrer Genuss. Leider war das mit der schlechten Luft auch ein herber Dämpfer für die Amphi-isten – das und die Tatsache, dass gleich am ersten Tag hier wenig für die Besucher so richtig rund lief, wie es geplant war: beim Programm in der Theater Stage staute es sich vor der Bühne zunehmend und zügig am Nachmittag, als es auf die Auftritte von Aesthetic Perfection, Neuroticfish und Front Line Assembly zu ging. Das Hauptproblem dabei war, dass der Bühneneingang der Sicherheitsbestimmungen des Komplexes wegen außerhalb des Geländes lag und man, wenn man vom Tanzbrunnen-Gelände zur zweiten Bühne gelangen wollte, immer einen längeren Weg beschreiten und sich erneut einer Taschenkontrolle unterziehen musste. Als es dort immer voller wurde, posteten die Veranstalter bei Facebook, dass es einen Einlassstopp gebe. Nachzulesen ist dieser -> hier. Auf diese Meldung wurde mit teils ziemlich heftigen Worten reagiert. Von Vorwürfen, man hätte bei der Running Order angesichts des Programms auf dem Hauptprogramm „völlig geschlafen“, ein paar bitterbösen Kommentaren, dass in der Lanxess-Arena, über die im vergangenen Jahr ordentlich geschimpft wurde, mit Sicherheit genug Platz gewesen wäre, bis hin zu Erklärungen, das Amphi sei für manche Besucher „endgültig gestorben“. Sogar And One-Frontmann Steve Naghavi mischte in der Diskussion mit.

Blutengel-6Viele blieben deswegen bei der Hauptbühne und gaben sich die Auftritte von Mono Inc., Ex-Nightwish-Frontfrau Tarja, Peter Heppner und Blutengel, die für manche Electro-Heads keine Berechtigung für einen Slot auf der Main Stage hatten – angesichts der Berühmtheit aller vier Acts muss man hier aber widersprechen. Mono Inc. überzeugten wie gewohnt, fügten ihren Evergreens in der Setlist noch ein Cover von Snow Patrols „Chasing Cars“ hinzu und gewannen das Publikum für sich. Die Finnin Tarja Turunen begrüßte in exzellentem Deutsch alle, die sich vor der Hauptbühne einfanden, und spielte einige Songs von ihrer neuen Platte „The Shadow Self“. Mit „Demons In You“ auch etwas Brandneues, ein kleines, aber feines Nightwish-Medley und eben die Setlist-Must Haves der letzten Jahre – dennoch war im Publikum in der Gesamtheit eher etwas weniger Begeisterung spürbar. Selbst beim exzellenten und atmosphärischen Gänsehaut-Moment mit dem Muse-Cover „Supremacy“. Peter Heppner holte darauf die „wahre schwarze Szene“, so es diese denn gibt, dann wieder zurück mit seinen geistreichen, deutschsprachigen Hits wie „Alleine sein“ oder dem Wolfsheim-Classic „Kein Zurück“. Dieser beschwor über dem gesamten Tanzbrunnen eine beklemmend-faszinierende Stimmung herauf und wuchtete wie ein Fanal der Trauer über das Rheinufer. Wenn man nach Mark Beneckes Ansprache Blutengel-Groupies ohne Ende um sich herum fand und die Show mit dem millionenfach geklickten „Sing“ begann, sah man viele zur Bühne strömen und mindestens genauso viele fluchtartig das Gelände verlassen und für heute die Segel streichen – Blutengel POHLarisieren halt unter den Fans und Hatern radikal. Wer sich dem Drift der Kontroverse entzogen hat, indem er gleich zur MS RheinEnergie durchgejoggt ist, bekam noch etwas von Nosferatu mit, deren Sänger ein wenig an Klaus Meine von den Scorpions in Batcave-Optik erinnert. Ein stimmiger Ausklang für einen guten Tag, den so manch ein Besucher weniger genossen haben wird – wegen angesprochener Wehwehchen, die bei allem Verständnis für den Ärger, seine Lieblingsband verpasst zu haben, auch ein wenig übertrieben sind, wenn man sich die Organisation beschaut und dass das Amphi wieder zu alter Stärke zurückgekehrt ist. Was hingegen wirklich kein kleines Ärgernis war, das ist eher am zweiten Tag spürbar geworden – zwei Trinkwasserstellen waren definitiv zu wenig und sorgten am wesentlich wärmeren, sonnenreicheren Sonntag für so manch einen Einsatz des lokalen Deutschen Roten Kreuzes. Wie viele Einsätze wegen dehydrierter Fans, Sonnenstichen und Kreislauf-Problemen es gab, darüber wird Vita Nigra berichten, sobald sich die zuständigen Behörden Auskunft geben. Der etwas regnerische, aber dafür immer noch beinahe „eklig warme“ Samstag war jedenfalls aus musikalischer Sicht groß.